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Frau Broistedt und die Massenunterkünfte

Offener Brief
Petra Broistedt, Stadt Göttingen, Dezernat C – Kultur und Soziales

Sehr geehrte Frau Broistedt,

manchmal fragen wir uns angesichts Ihrer Äußerungen, ob Sie diesen orwellschen Neusprech wirklich glauben. Schon beim Kampf um die Schließung der Siekhöhe wurde deutlich, dass Sie das Konzept der Massenunterkünfte tatsächlich bevorzugen, obwohl die Stadt Göttingen seit Mitte der 80er Jahre immer versucht hat, Geflüchtete in Wohnungen unterzubringen. Ja, es stimmt wohl, dass dies 2015 kurzfristig nicht möglich gewesen ist. Aber inzwischen ist viel Zeit vergangen und immer noch verteidigen sie die „Gemeinschaftsunterkünfte“ und halten daran fest.

Sie waren gegen die Schließung der Siekhöhe und haben dafür getrickst, getäuscht und gedroht. Wir können uns noch gut an den Sozialausschuss erinnern, in dem Sie androhten, dann die Geflüchteten wieder in Sporthallen unterzubringen. Nur durch den öffentlichen und politischen Druck mussten Sie die Siekhöhe dann doch schließen. Der von allen Seiten geforderte Wohnungsbau dagegen lässt auf sich warten.

Die Siekhöhe ist nun zwar Geschichte, aber es gibt immer noch massive Kritik an der Unterbringungssituation der Geflüchteten in Göttingen und überall, seit Corona auch noch intensiver. Aber von Massenunterkünften wollen Sie nichts hören. Wir haben keine Massenunterkünfte, sagen Sie, wir haben Gemeinschaftsunterkünfte. Dieses Wort müssen wir besonders betonen: Ge-mein-schafts-unterkünfte!

Frau Broistedt, diese Wortschöpfung stammt aus 1982. Damals wurde das Asylverfahrensgesetz verabschiedet (verbrochen) und es wurde lange überlegt, welches Wort sich für die zentrale Unterbringung von Geflüchteten eigne. Sammelunterkunft? Asyl-Sammellager? Hört sich alles nicht so gut an oder? Daher entschied man sich damals für den Begriff Gemeinschaftsunterkunft. Das hört sich doch gleich viel besser an, so nach Familie und Geborgenheit, finden Sie nicht?

Was ist eine Gemeinschaft? Das Zusammensein, – leben in gegenseitiger Verbundenheit, steht dazu im Duden. Oder Gruppe von Personen, die durch gemeinsame Anschauungen o.Ä. untereinander verbunden sind.

In der Realität, trifft genau das aber alles nicht (!) zu.

In der deutschen Rechtsprechung wird eine GU unter Massenunterkünfte subsumiert, genau so wie im Infektionsschutzgesetz. Der Gesetzgeber stellt einen Zusammenhang her zwischen der (zumeist dichten) Belegung dieser Einrichtungen und einer erhöhten Ansteckungsgefahr. Charakteristisch sei auch der stetige Wechsel der Belegung sowie Gemeinschaftstoiletten und fehlende Rückzugs- und Abgrenzungsmöglichkeiten. Außerdem existiert ein eigenes ex- oder internes Regelwerk, dass die individuelle Freiheit der Betroffenen einschränke. Entscheidend ist ein unfreiwilliger gesteigerter gegenseitiger Kontakt. Typisch ist auch das Fehlen von Briefkästen. (Alles nachzulesen: Pflichten der Gesundheitsämter – 15.10.2015; Publicus, der online-Spiegel für das öffentliche Recht)

Also doch – Massenunterkünfte. Rechtlich und politisch ein völlig zutreffender Begriff, den sie aber als Lüge ausmachen. Und jetzt mal ehrlich Frau Broistedt, Europaallee = 280 Plätze, Zietenterrasse = 174 Plätze, Albrecht-Thaer-Weg 150 Plätze, da reden Sie noch von Gemeinschaftsunterkunft? Wir fänden es super, wenn Sie dort mal einziehen, sich ein Zimmer mit einer fremden Person teilen, Küche und Badezimmer mit 5 anderen benutzen müssen und das in Coronazeiten. Danach reden wir nochmal.

Auch den Vorwurf des mangelnden Infektionsschutzes weisen Sie weit von sich, schließlich hätten Sie Masken und Desinfektionsmittel verteilt. Ja haben Sie, wenn auch ganz schön spät. Ebenso wie die Einrichtung eines Quarantänequartiers in der Breslauer Straße. Trotzdem müssen sich in den Unterkünften mehrere Personen ein Zimmer teilen sowie Dusche, Toilette und Küchenzeile. In Häusern wie der Carl-Giesecke-Straße sind zwar „nur“ 76 Plätze, aber dafür müssen sich noch mehr Personen ein Zimmer teilen und mit noch mehr Personen die Duschen und Toiletten, die dann einmal pro Tag gereinigt werden. Ähnlich katastrophal ist die Situation im Maschmühlenweg. Und nochmal für Sie: Entscheidend ist ein unfreiwilliger gesteigerter gegenseitiger Kontakt.

Schon in „normalen“ Zeiten sind fehlende Rückzugsmöglichkeiten und mangelnde Privatsphäre auf Dauer nicht auszuhalten. In Pandemiezeiten, wenn selbst die öffentlichen Orte geschlossen sind, ist das eine Katastrophe für jede Psyche.

Dem Göttinger Tageblatt gegenüber haben Sie gesagt, das Infektionsrisiko sei nicht höher als in einem Studi-Wohnheim. Das ist nun wirklich Stuss, Frau Broistedt. In einem Studi-Wohnheim hat jede*r ein eigenes Zimmer von 17-22 qm für sich ganz allein. Wer sich unsicher fühlt, kann zur Familie fahren oder zu Freund*innen. Das können Geflüchtete eben nicht.

Die Kritik an den Massenunterkünften, Frau Broistedt, wird nicht abbrechen, nur weil Sie orwellschen Neusprech benutzen. Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen. Vor allen Dingen sind wir in Kontakt mit vielen Geflüchteten, die uns immer wieder über die Missstände berichten.

Unsere Forderung ist nach wie vor: Massenunterkünfte schließen! Wohnungen für alle!

Göttingen, 5. Mai 2020, OM10

Große Demo fordert: Lager auflösen, Grenzen öffnen – jetzt und überall!

Wir sind Teil des Bündnis “Lager auflösen jetzt!” und waren am 30.04.20 endlich wieder mit vielen Leuten auf der Straße. Hier die PM des Bündnisses.

Protest wird lauter
Über 100 Aktivist*innen fordern bei Sterndemo:
Lager auflösen, Grenzen öffnen – jetzt und überall!

Am späten Nachmittag des 30.04.20 haben sich in der gesamten Innenstadt von Göttingen kleinere Demonstrationen mit Transparenten und Fahnen auf den Weg zu einer Kundgebung am Neuen Rathaus gemacht. Unter dem gemeinsamen Motto “Lager auflösen, Grenzen öffnen – jetzt und überall!” starteten Demozüge am Uni-Campus, an der Leine, am Platz der Synagoge, am Gänseliesel , am Wilhelmsplatz und weiteren Orten. Während die Aktivist*innen durch das Tragen von Masken und das Einhalten von Sicherheitsabstand die aktuell gebotenen Hygienestandards einhielten, forderten sie lautstark, das Leben der Menschen in den Lagern in Griechenland zu schützen und endlich Geflüchtete nach Göttingen zu holen. Um 18 Uhr trafen die unterschiedlichen Demozüge mit insgesamt über 100 Teilnehmer_innen am Neuen Rathaus zusammen. In zwei Redebeiträgen wurde der verachtende Umgang von Verwaltung und Stadtpolitik mit den Menschen in den überfüllten Lagern in Göttingen angeklagt. Dabei wurde erneut die Forderung aufgegriffen, Hotels und anderen Leerstand zu nutzen, um zumindest jedem Menschen durch ein eigenes Zimmer minimalen Schutzraum vor dem Hintergrund der Covid 19-Pandemie zu bieten.

Eine Sprecherin machte auf die aktuelle juristische Lage aufmerksam: „In Sachsen wurde Anfang dieser Woche zwei Eilanträgen von Geflüchteten aus Sammelunterkünften stattgegeben. Gerichtlich wurde anerkannt, dass die Unterbringung in Sammelunterkünften eine körperliche Unversehrtheit, also die Verhinderung von Ansteckung durch Covid-19, nicht hergibt, weil Sicherheitsmaßnahmen nicht eingehalten werden können.“

Verwaltung und Politik in Göttingen wollen die Situation allerdings offenbar aussitzen: „So müssen sich Menschen in einigen Unterkünften noch immer zu viert ein Zimmer teilen. Es gibt teilweise Gemeinschaftsduschen und -küchen, die von mehr als zehn Personen genutzt werden, sowie oftmals kaum Zugang zu notwendigen Informationen oder ausreichend

Desinfektionsmittel. Selbst in den großen Unterkünften Europaallee und Zietenterrasse sind die Bedingungen nicht akzeptabel: 3 kleine Zimmer, maximal 65 qm inklusive Küche und Badezimmer für 6 Personen – d.h. je 2 Personen pro Zimmer.“ Zu diesem Zeitpunkt kam Frau Broistedt, die als Sozialdezernentin für diese Zustände mitverantwortlich ist, aus dem Neuen Rathaus und durchquerte die Demo. Die Bitte, sich die Forderungen der Demonstrant_innen anzuhören, ignorierte sie allerdings und fuhr weiter.

Neben dieser Ignoranz scheint die Verwaltung auch vor Desinformationskampagnen nicht zurückzuschrecken: „Die Aktionen, mit denen sich Broistedt und Co. in den letzten Tagen durch ihre vermeintlichen ‚Wohltaten‘ für Geflüchtete schmückten – vor der Presse posierend Masken verteilen und nun eine Quarantäneunterkunft einzurichten – sind eine Farce und reichen unter keinen Umständen aus! Und dann noch seitens der Stadt zu behaupten, die Ansteckungsgefahr sei nicht höher als in einem Studentenwohnheim, ist blanker Zynismus.“

Als die Aktivist*innen gegen 18.30 Uhr den Bereich vor dem Neuen Rathaus verließen, fassten sie ihre Forderungen nochmals zusammen: Geflüchtetencamps und Massenunterkünfte sollen sofort evakuiert werden – in Griechenland, in Göttingen und überall! „Es gibt genug Platz und Ressourcen, um Menschen hier aufzunehmen und unter würdigen, sicheren Bedingungen dezentral, statt in Lagern, unterzubringen. Wohnungsleerstand und Hotels müssen genutzt werden. Geldleistungen müssen für drei Monate im voraus ausgegeben werden.“

Bereits in den letztem Wochen wurden verschiedene Protestaktionen durch Polizeikräfte teils massiv kriminalisiert. Umso wichtiger bleibt es, das Recht auf Gesundheit nicht gegen das Recht auf Gesundheit für Alle und politischen Protest auszuspielen. Das strikte Beharren von Verwaltung und Politik auf rassistische und teils gefährdende Behandlung der Menschen in Massenunterkünften in Göttingen darf nicht zu einem Normalzustand werden, sondern muss durch immer lauter werdende Proteste auf der Straße verhindert werden.

Bündnis Lager auflösen jetzt!

Weitere Fotos: https://www.flickr.com/photos/linksuntengoe/albums

Unterstützung des Projekts “Gesundheitshilfe für Menschen ohne Krankenversicherung”

Brief an Politiker*innen und Parteien in Stadt und Landkreis Göttingen

Medizinische Versorgung für alle Menschen! In Zeiten der Corona-Pandemie und immer!

Wir unterstützen die Initiative des medinetz Göttingen für eine medizinische Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherung während der Covid-19 Pandemie und teilen die Forderungen:

1. Die Etablierung der Gesundheitshilfe für Menschen ohne Krankenversicherung. Hierfür gibt es einen Projektantrag von Diakonie und Medinetz Hannover zur Sicherstellung einer grundlegenden medizinischen Versorgung von allen Betroffenen in Niedersachsen (Mehr Informationen hierzu auf Nachfrage bei medinetz_goettingen@posteo.de).
2. Eine strikte Unterlassung der Weitergabe von Daten, insbesondere von Menschen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus. Eine Inanspruchnahme von gesundheitlicher Versorgung darf keine Ausweisung oder sonstige rechtliche Konsequenzen zur Folge haben. Die Daten von Infizierten und von Kontaktpersonen, die dem Gesundheitsamt gemeldet werden, müssen seiner ärztlichen Schweigepflicht unterliegen. Nur so ist zudem gewährleistet, dass unsere Klient*innen die Kommunikation bezüglich Tests, evtl. Behandlung, Hygiene- und Kontaktmaßnahmen mit uns aufrecht erhalten.
3. Die schnellstmögliche Klärung der Kostenträgerschaft, sowie eine Zusicherung der Kostenübernahme für alle Menschen, die vom Coronavirus betroffen sind oder sich darauf testen lassen müssen.

Michael Kensy: “In unserem Projekthaus OM10 hatte das medinetz Göttingen seit Ende 2017 ein Beratungsbüro für den “Anonymen Krankenschein”. Täglich waren wir Zeug*innen, wie geflüchtete Menschen ohne Papiere hier zumindest medizinsche Erstberatung, -versorgung und Überweisung an Fachstellen erfahren haben. Der immense Bedarf war augenscheinlich. Umso bitterer war es für uns mit ansehen zu müssen, als den Betroffenen, die weiter zu uns in die OM10 kamen, diese Hilfe plötzlich vorenthalten wurde.” Das Land Niedersachsen hatte die Finanzierung zum Herbst 2018 eingestellt und die Stadt Göttingen verweigerte die Bereitschaft zur Fortsetzung. So musste das Projekt “Anonymer Krankenschein” alternativlos abgewickelt werden. Eine geregelte medizinische Versorgung für alle Menschen rückte in weite Ferne.

Wir begrüßen den Ansatz, erneut ein entsprechendes und in Zeiten der Corona-Pandemie einmal mehr lebenswichtiges Projekt initiativübergreifend zu initiieren. Wir haben Respekt vor der Arbeit des medinetz, die diesen Vorstoß vornehmen, trotzdem sie in der Vergangenheit mehrfach zurückgewiesen wurden. In unseren Forderungen an den Rat der Stadt Göttingen vom 31.03.20 haben wir bereits auf eine Sofortmaßnahme zur “Wiedereinführung des Anonymen Krankenscheins für illegalisierte Geflüchtete” gedrängt. Das nun von medinetz u.a. vorgelegte Projekt “Gesundheitshilfe für Menschen ohne Krankenversicherung” ist in unseren Augen differenziert und bedarfsgerecht konzipiert. Seine Realisierung ist ein wichtiger Schritt hin zu einer solidarischen gesetzlichen Gesundheitsversicherung für Alle, um schließlich allen Menschen in Deutschland Zugang zu gleich guten Behandlungsmöglichkeiten zu bieten.

Göttingen, 30.04.2020

Anlaufstelle in der OM10 – Angebote an fünf Tagen in der Woche

In Zeiten von Corona, von Krise, von Angst und Verunsicherung, von einschneidenden Einschränkung der Bewegungsfreiheit und von geschlossenen Beratungs- und Unterstützungsangeboten machen wir in der OM10 die Türen auf für geflüchtete und andere marginalisierte Menschen, um ihnen und ihren Sorgen und Fragen persönlich zu begegnen.

Ab Mittwoch, dem 29.April, werden wir mit diesem Angebot starten:
MO 17:00-18:30 Uhr — anonyme Gesundheitsversorgung
DI
MI 10:00-12:00 Uhr — Sozialberatung
DO 16:00-18:00 Uhr — Beratung für Frauen
FR 12:00-13:30 Uhr — Erstberatung und ggf. Weitervermittlung bei psychischen Problemen
SA 15:00-16:30 Uhr — Beratung zu Erwerbsarbeit

In Gesprächen mit Geflüchteten erleben wir gerade jetzt eine verbreitete Angst und Verunsicherung und deswegen den besonderen Bedarf von persönlicher Beratung und Unterstützung. Deshalb haben wir beschlossen, in der OM10 zusammen mit verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen eine niedrigschwellige und selbstorganisierte Anlaufstelle einzurichten. Vorerst werden wir an 5 Tagen jeweils bis zu zwei Stunden zu verschiedenen Schwerpunkten persönliche Beratung für Einzelpersonen anbieten. Dabei werden wir die Fragen und Probleme anhören und sichten und möglichst an die qualifizierten Angebote weitervermitteln. Wir sind mit den verschiedenen Anlaufstellen in Kontakt und können so eine Brücke zu den professionellen Angeboten bilden.
Das Haus und das Gelände bieten ausreichend Platz, um Gesprächsrunden zu zweit oder maximal zu dritt in gebührendem Anstand stattfinden lassen zu können. Schutzmasken sind vorhanden und können bei Bedarf auch noch selbst hergestellt werden.

Wir stellen fest, dass viele Menschen, die auf unmittelbare Hilfe angewiesen sind, aktuell kaum noch Zugang zu den Angeboten der verschiedenen Anlauf- und Beratungsstellen haben. Sämtliche offenen Angebote sind aktuell geschlossen und reduziert auf Kontakte über Telefon oder andere soziale Medien. Teilweise werden persönliche Gespräche angeboten, der Erstkontakt muss dann aber auch über Telefon hergestellt werden. Damit ist der niedrigschwellige Zugang zu vielen der qualifizierten Angebote versperrt. Vertrauensbildung und –aufbau ist auf diesen Wegen nur schwer möglich. Zudem sind Menschen, die auch noch Sprachbarrieren und andere Ängste überwinden müssen, besonders von den Angebotseinschränkungen betroffen.

Wir erleben eine absurde Gleichzeitigkeit von zum Teil fragwürdigen Maßnahmen, welche die Ausbreitung des Virus verhindern sollen und überfüllten Sammelunterkünften und Lagern, in denen Menschen Abstands- und Hygieneregeln gar nicht einhalten können und bei einem Ausbruch dem Erreger schutzlos ausgeliefert sind.
Die Konsequenzen der Pandemie treffen nicht alle Menschen in dieser Gesellschaft gleich und nicht alle werden vor dem Virus in gleichem Maße geschützt.
Wir wollen diesen Entwicklungen eine Solidarität entgegensetzen, die die Bedürfnisse der Menschen in den Mittepunkt stellt und zwar aller Menschen. Deswegen sehen wir nicht zu wie den ohnehin schon marginalisierten Menschen noch die letzte Unterstützung genommen wird!

PM: Köhler und Broistedt schweigen bei Bürger*innenfragestunde zur Versorgung von Geflüchteten

Wir sind im Bündnis “Lager auflösen jetzt!” aktiv. Hier gibt es das sehenswerte Video (4:14 min) und die Kurzversion (0:59min).

– – –

Am 17.04.20 haben der Oberbürgermeister Herr Köhler und die Sozialdezernentin Frau Broistedt der Stadt Göttingen sich drängenden Fragen der Bürger*innen zur Situation von Geflüchteten in Göttingen und an den europäischen Außengrenzen in einer Fragestunde gestellt. Da derzeit weder die Ausschüsse noch der Rat der Stadt Göttingen tagen, hatte das Bündnis „Lager auflösen jetzt!“ zu einer außerordentlichen Bürger*innenfragestunde eingeladen.
Vorgaben zum Infektionsschutz wurden beachtet, indem die nicht-öffentliche Fragestunde unter freiem Himmel vor dem Rathaus stattfand, Herr Köhler und Frau Broistedt an Einzeltischen mit gebotenem Abstand saßen und nur zwei Bürger*innen stellvertretend die zuvor gesammelten Fragen vortrugen. Herr Köhler und Frau Broistedt enttäuschten allerdings erneut, indem sie sich zu dem gefordert menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten weiter in Schweigen hüllten und schließlich wütende Bürger*innen zurückließen. Damit behielten sie zur Empörung der Veranstalter*innen ihre Strategie des unverantwortlichen Nichtstuns bei. Mehrere bundesweite und lokale Organisationen und Initiativen hatten in den letzten Wochen Vorschläge gemacht und Forderungen an Politik und Verwaltung der Stadt Göttingen gestellt.

Pünktlich um 11:00 Uhr nehmen Herr Köhler und Frau Broistedt an ihren Konferenztischen auf dem Vorplatz des Neuen Rathaus zur außerplanmäßigen Bürger*innenfragestunde platz. Ein ungewohnter Anblick verglichen mit ihrem sonstigen Auftreten im Raatssaal und den Tagungsräumen während der Sitzungen in nicht-Corona-Zeiten. Melanie Struck und Saskia Peters, die für diese Fragestunde die Moderation übernehmen und die gesammelten Fragen vortragen, begrüßen. Besonders bedanken sie sich beim derzeit in Göttingen regierenden Krisenstab, der die Teilnahme von Herrn Köhler und Frau Broistedt bewilligt und darüber hinaus auch beide mit einem flotten Outfit für den besonderen Anlass ausgestattet hat.

Wie aus den Bürger*innenfragestunden bekannt, werden auch bei dieser Veranstaltung die Fragen jeweils nur mit kurzen Erläuterungen eingeführt.

Als Frau Broistedt damit konfrontiert wird, dass es in der Geflüchteten-Unterkunft Hannah-Vogt-Straße leere Zimmer und Wohnungen gibt, während andere Zimmer dort mit mehreren Personen belegt sind, und sie gefragt wird, ob Sie die Vorgesetzte von Frau Munk sei, die als Leiterin des Wohnungsamt diesen unglaublichen Zustand anordnet und aufrecht hält, hüllt sich Frau Broistedt in Schweigen. Auf Nachfrage, wer denn außer ihr Einfluss auf Frau Munk habe, um deren gerade auch in Zeiten von Corona gesundheitsgefährdenden und menschenunwürdigen Kurs zu korrigieren, deutet Frau Broistedt an, dass sie gar nicht wisse wer Frau Munk sei.

Mit einer kaum wahrnehmbaren Geste erklärt Herr Köhler, dass er über die Möglichkeiten, über das Land Niedersachsen direkt und ohne Bundesbeteiligung Geflüchtete aus den griechischen Lagern aufzunehmen, bestens informiert sei. Schließlich wurde der Rat auf entsprechende Rechtsgutachten bei der letzten vor-Corona-Bürger*innenfragestunde am 13.03.20 ausführlich aufmerksam gemacht. Die sich anschließende Frage, wann er als Verwaltungsspitze eines „Sicheren Hafens“ endlich von der Landesregierung einfordere, Geflüchtete von den europäischen Außengrenzen nach Göttingen zu holen, sitzt Herr Köhler allerdings mit eiseskalter Ruhe aus. Auch den fassungslosen Hinweis, dass durch sein weiteres Nichtstun Menschenleben gefährdet seien und die Flüchtenden ebenso wie wir Göttinger*innen Menschen seien, die ein Recht auf Schutz und ein gutes Leben haben, lässt er unkommentiert.

Die beiden Moderator*innen behalten angesichts eines ignoranten Auftretens von Herrn Köhler und Frau Broistedt trotz der dringlichen Themen zunächst die Ruhe. Sie tragen vor dem Hintergrund der Covid 19-Pandemie weitere Fragen von Göttinger Bürger*innen vor, darunter:

Welche Möglichkeiten gibt es für die Bewohner*innen der Unterkünfte, Fragen und Unsicherheiten, Sorgen und Nöte mit Fachpersonen zu teilen? Wie wird sichergestellt, dass die Geflüchteten sich untereinander sowie mit Fachpersonen angesichts möglicherweise beschränkter (fachsprachlicher) Deutschkenntnisse verstehen können?

Welche Hilfen werden im Krankheitsfall geboten? Welche Hilfen werden bei Vorliegen EINES der Symptome, die einen Hinweis auf eine Covid-19-Erkrankung geben können (Husten, Fieber, Schnupfen, Halsschmerzen, Gliederschmerzen, Luftnot, Durchfall, Störung des Geruchssinnes, Störung des Geschmackssinnes), den Betroffenen konkret geboten? Auf welchem Wege ist eine sofortige ärztliche Konsultation sichergestellt?

Inwiefern haben Vertreter*innen des bei der Stadtverwaltung angesiedelten Gesundheitsamtes die Wohnverhältnisse in allen Sammelunterkünften für Obdachlose und Geflüchteten unter den gegenwärtigen für eine Infektionsprophylaxe unmmittelbar sich ergebenden Aspekten persönlich in Augenschein genommen und fachlich beurteilt?

Wie will die Stadt damit umgehen, wenn eine Sars-Cov-2 Infektion in einer Sammelunterkunft ausbricht?

Welche Schritte wurden bereits mit welchem Ergebnis unternommen, leerstehende Wohnungen und Hotels für die dezentrale Unterbringung von Geflüchteten zu öffnen und zu nutzen?

Als die Moderator*innen gewahr werden, dass Herr Köhler und Frau Broistedt der Einladung zur Bürger*innenfragestunde zwar gefolgt sind, sie letztlich aber nicht einmal Andeutungen machen, wie sie als Spitze der Verwaltung in den aufgeworfenen Fragen weiter vorgehen wollen, bricht die Moderation die Fragestunde wütend ab. Nach einem letzten Appell werden Herr Köhler und Frau Broistedt schließlich auf dem Rathausvorplatz sitzen gelassen: „Nehmen Sie Ihren Handlungsrahmen als Verwaltungsspitze endlich wahr! Setzen Sie der rassistischen Ausgrenzung und Aussonderung von Geflüchteten ein Ende! Die Geflüchteten brauchen endlich menschenwürdige Behandlung! Geflüchtete haben das gleiche Recht auf Schutz vor einer Infektion wie jeder andere Mensch!”

Bündnis „Lager auflösen jetzt!“

Terror in der Ausländerbehörde?!

Gemeinsames Statement zu der Debatte um den Brand in der Ausländerbehörde

Im November 2019 haben Unbekannte in Göttingen einen Brandanschlag auf die Ausländerbehörde verübt. In einem Bekenner*innenschreiben wird die Ausländerbehörde kritisiert, da diese für Abschiebungen und Ausgrenzungen verantwortlich ist. Wir als politische Gruppen, die seit langem die Politik der Ausländerbehörde als rassistische Staatspolitik kritisieren, wenden uns jetzt einige Monate später mit einem gemeinsamen Statement gegen die in der Debatte vorherrschende Selbstinszenierung der Ausländerbehörde als „Service-Behörde“ und gegen die Gleichsetzung des Brandanschlages mit dem faschistischen Terror mordender Neonazis. Während Polizei, Stadtrat und Oberbürgermeister von linkem „Terror“ reden, wollen wir dringend von rassistischer, staatlicher Politik sprechen

Keine Gleichsetzung von links und rechts!

Der Göttinger Polizeipräsident Uwe Lührig nutzt den Brandanschlag schon im November 2019, um von „Linksterrorismus“ zu schwadronieren. Auch der Göttinger Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) vergleicht in seiner Rede vor der Verwaltung im Dezember 2019 den Brandanschlag mit rechtem Terror in Deutschland. Wörtlich setzt Köhler den Sachschaden im Amtshaus mit dem bewussten und gewollten Gefährden von Menschenleben durch das Anzünden von Geflüchtetenwohnheimen gleich. Eine zehnköpfige Sonderkommission zur Ermittlung wurde von der Polizei schnell eingerichtet. Die Ermittlungen wurden an die Bundesanwaltschaft übergeben, die sich u.a. mit dem NSU beschäftigt hat.

Die Gleichsetzung eines Sachschadens mit den Morden des NSU und Terrorplänen von Neonazis, Soldat*innen, Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes und Polizist*innen relativieren rechte Terrornetzwerke samt staatlicher Unterstützung und Verwicklungen darin. Durch diese Äußerungen werden migrantische Menschenleben relativiert. Die Äußerungen und Vorgehensweisen zeigen, dass Politiker*innen wie Köhler gemeinsam mit der Göttinger Polizei gegen Linke, die Sachschäden begehen, viel schneller vorgehen, als gegen Neonazis, die migrantische Menschenleben gefährden. Continue reading Terror in der Ausländerbehörde?!

Geflüchtete berichten aus Unterkünften in Stadt und Landkreis Göttingen – Offener Brief

Wir sind im Bündnis “Lager auflösen jetzt!” und dokumentieren hier den Offenen Brief vom 07.04.20. Auf den Fotos sind Zitate von Bewohner*innen aus Geflüchteten-Unterkünften.

An
Rat der Stadt Göttingen, Kreistag Göttingen-Osterode,
Gesundheitsamt, Verwaltung und Parteien

Amt für Soziales verweigert die Belegung freier Zimmer aus überbelegten Zimmern.“ (Hannah-Vogt-Straße)

Aus den Sammelunterkünften Carl-Giesecke-Straße, Albrecht-Thaer-Weg, Hannah-Vogt-Straße, Rosenwinkel und Schloss Wollershausen haben wir in den letzten Tagen von dort untergebrachten Geflüchteten Berichte und Antworten auf unsere Fragen zu ihrer Situation erhalten. Fragen, die wir uns als Bündnis „Lager auflösen jetzt!“ in Zeiten der Corona-Pandemie stellen. Einige Zitate von Bewohner*innen (s.u.) haben wir z.K. bereits an Türen am Neuen Rathaus, dem Gesundheitsamt sowie den Parteizentralen von SPD und Grüne geklebt.

Wir wenden uns an Sie, weil Ihnen die rechtliche bzw. politische Verantwortung für die Sicherheit aller hier lebenden Menschen ohne Unterschied von Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus obliegt. Mit aller Dringlichkeit machen wir Sie auf die – durch die Corona-Pandemie noch zugespitzt – unhaltbaren Zustände in den Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete und Obdachlose aufmerksam. Wir erwarten von Ihnen sofortiges Handeln und die Auflösung der Sammelunterkünfte, da nicht nur die Würde dieser Menschen sondern auch ihre Gesundheit unmittelbar bedroht sind.

* Umsetzung der derzeit gebotenen Abstands- und Hygieneregeln schier unmöglich.

Geflüchtete aus den oben genannten Sammelunterkünften beschreiben, dass immer noch 2-3 Personen in einem Zimmer auf engstem Raum untergebracht sind. Wiederholt werden dabei Menschen unterschiedlichster Herkunft, Gebräuche und Bedürfnisse willkürlich zusammengepfercht. Die Geflüchteten berichten übereinstimmend, dass sie in der Regel keinen Einfluss auf die Zusammensetzung der Bewohner*innen haben. Kleineren Familien werden mitunter noch einzelne alleinstehende Personen in die gemeinsame Wohnung zugewiesen. In der Carl-Giesecke-Straße müssen sich 10 Personen eine Küche teilen. Und bis zu 6 Personen müssen sich ein Bad und eine Waschgelegenheit teilen.

* Aufklärung und Schutz hinsichtlich der Corona-Pandemie vielerorts sehr mangelhaft.

Es gab und gibt bis heute kaum Gelegenheit für die Bewohner*innen, ihre Fragen und Unsicherheiten beantwortet zu bekommen. Wir betonen: Eine einmalig erfolgte oberflächliche Aufklärung ist der sich ständig verändernden Pandemiesituation in keiner Weise angemessen. Und auch das zum Teil erfolgte Aushängen von Zetteln kann diesen Mangel nicht beheben.

Es gibt weder Angebote für Schutzmasken oder Desinfektionsmittel noch Informationen über konkrete Hilfeangebote im Krankheitsfall. Bei der Suche nach Informationen über den Ansteckungsweg, die Symptome und die Gefährlichkeit des Virus sind die Geflüchteten beinahe vollständig auf sich allein gestellt. So informieren sie sich im Internet mit all den seriösen und unseriösen Quellen, die hier kursieren.

* Kontrollen ersetzen Angebote und Betreuung

Erschwert wird die Lage der Betroffenen durch den Abzug der meisten Ansprechpersonen und die alternativlose Einstellung von Freizeit- und Bildungsangeboten. Eine „Betreuung“ findet derzeit fast ausschließlich durch Kontrollen hinsichtlich der Einhaltung von Verboten statt. Die Verschärfung von Konflikten untereinander ist eine Folge. Das ausgesprochene Besuchsverbot und dazu die Schließung der Gemeinschaftsräumen zwingt die Bewohner*innen geradezu, Ausweichmöglichkeiten vor den Häusern zu nutzen. Diese Versuche, der Enge in den Zimmern zu entkommen, werden mit Polizeieinsätzen aufgelöst.

In dieser Situation von Anordnungen, Verboten, Strafandrohungen, Enge, Halbwissen, Gerüchten und ohne konkrete Hilfeangebote macht sich besonders unter den Bewohner*innen von den Sammelunterkünften zunehmend Angst und Panik breit. Solange die Geflüchteten auf engstem Raum in den Sammelunterkünften leben müssen, setzen Sie sie der Gefahr einer sich rapide ausbreitenden Ansteckung mit dem Corona-Virus aus, wie sie aus Pflegeheimen – auch hier in Göttingen – bereits bekannt sind. Diese unhaltbaren Zustände darf es keinen Tag länger geben!

> Konsequentes Vorgehen erforderlich statt politischen Taktierens

Wir sehen hier keine Zeit mehr für weitere Debatten oder politisches Taktieren. Stattdessen erwarten wir von Ihnen jetzt ein konsequentes Vorgehen: Die noch nicht belegten Zimmer und Wohnungen in der Hannah-Vogt-Straße müssen sofort zum Ausweichen geöffnet werden! Die Sammelunterkünfte mit der Unterbringung von mehreren Menschen in einem Zimmer und auf engem Raum müssen schlichtweg alle sofort aufgelöst werden! Naheliegende Vorschläge für Raumbeschaffung gab es auch in den letzten Wochen zahlreiche: Leerstehende Wohnungen und Häuser müssen jetzt geöffnet, beschlagnahmt oder auch enteignet werden! Hotelzimmer müssen angemietet und geöffnet werden!

> Zuteilung von Geflüchteten in Griechenland vom Land Niedersachsen einfordern

Gleichzeitig herrscht eine hochbedrohliche Situation in einem Lager wie Moria auf der Insel Lesbos. Dort sind mehr als 20.000 Flüchtlinge auf einem für weniger als 3000 Menschen vorgesehenen Platz mit kaum vorhandener medizinischer und hygienischer Versorgung eingepfercht. Ein Massensterben kann nur verhindert werden, wenn auch dieses Lager sofort aufgelöst wird. Deshalb muss die Stadt jetzt auch die notwendigen Wege gehen und den Ratsbeschluss umsetzen, der Göttingen zum Sicheren Hafen erklärt. Sie muss jetzt vom Land Niedersachsen die Zuteilung von Flüchtlingen aus griechischen Lagern einfordern!

> Herr Köhler, Frau Broistedt, Frau Munke und die Politik

Wir erwarten von Ihnen, Herr Köhler als Oberbürgermeister, Frau Broistedt als Sozialdezernentin und Frau Munke als Leiterin des Wohnungsamtes sowie vom Gesundheitsamt, dass Sie Ihre Verantwortung wahrnehmen und die genannten Schritte umsetzen! Von Ihnen als Politiker*innen in Stadt und Landkreis erwarten wir, dass Sie Ihre menschenrechtlich gebotenen Aufgaben jetzt erfüllen!

Am vergangenen Sonntag, dem 05.04.20, haben sich deutschlandweit und auch hier in Göttingen Tausende Menschen trotz der bestehenden Ausgangsbeschränkungen mit vielfältigen Straßenaktionen für eine Auflösung der Flüchtlingslager weltweit und auch hier eingesetzt. Viele Aktionen sind im Internet unter dem Hashtag #LeaveNoOneBehind einsehbar. Wir stellen unseren Offenen Brief auch in diesen Zusammenhang.

Zitate von Bewohner*innen der Unterkünfte

Carl-Giesecke-Str. April 2020: „Mindestens zwei bis drei Personen pro Zimmer, 10 Personen pro Etage und Küche.", „Social Distancing ist auf dem engen Raum nicht möglich.", „Es gibt ein Besuchsverbot als Sicherheitsmaßnahme, das ist alles. Es wurden keine Informationen über Corona gegeben. Es gibt nur einen Zettel auf dem steht, dass es Besuchsverbot gibt."
Hannah-Vogt-Str. April 2020: „Es gibt etliche leerstehende Zimmer und Wohnungen", „Amt für soziales verweigert die Belegung der freien Zimmer aus überbelegten Zimmern."
Albrecht-Thaer-Weg April 2020: „Sie sagen, wenn es schlimm wird, würden sie einen Krankenwagen rufen.“, „Es arbeiten kaum noch Leute in der Unterkunft.“, „Die meisten glauben nicht, dass Krankheitsfälle ernst genommen werden,"
Hannah-Vogt Str. / Albrecht-Thaer-Weg / Carl Giesecke Str. / Rosenwinkel: „Es gibt keine Masken und kein Desinfektionsmittel!"

Forderungen für Sofortmaßnahmen an den Rat der Stadt Göttingen in Zeiten der Corona-Pandemie

Pressemitteilung

Die Covid-19 Pandemie und der staatliche Umgang damit spitzt die gesellschaftlichen Verhältnisse in jeder Hinsicht zu. Vor diesem Hintergrund fordern wir vom Rat der Stadt Göttingen Sofortmaßnahmen [S]. Anschließend sollen weitergehende Folgemaßnahmen [F] eingeleitet und umgesetzt werden. Wir gehen davon aus, dass erste Sofortmaßnahmen innerhalb von Stunden umsetzbar sind.

Längst bekannte Probleme, Ungerechtigkeiten und Zumutungen werden für ganze Menschengruppen einmal mehr zu gesundheits-, existenz- und lebensbedrohlichen Umständen. Nun sollte erst recht die Zeit sein, das Wohl der Menschen zu schützen und einen gesellschaftlichen Wandel einzuleiten, der die Bedürfnisse aller Menschen über den Erhalt patriarchaler Strukturen und die Sicherung von Profitinteressen stellt.

Unvermeidlich müssen auf diesem Weg die Privilegien von Eliten beschnitten und schließlich abgeschafft werden und eine konsequente Umverteilung der gesellschaftlichen Ressourcen von oben nach unten stattfinden. Unvermeidlich werden wir alle lernen müssen und dazu u.a. im sozialen Umgang ein konsequent antirassistisches, antisexistisches Handeln gegenseitig einfordern – wie derzeit einen verantwortungsvollen Abstand. Auf diesem Weg werden wir nicht bei Null beginnen müssen. Es gibt unzählige soziale Formen, Projekte, Initiativen, die ein solidarisches, bedürfnisorientiertes und emanzipatorisches Miteinander erproben und leben.

Als Wohn- und Aktionsprojekt OM10 konnten wir in den vergangenen viereinhalb Jahren vielfältige Erfahrungen machen. Gemeinsam mit unzähligen Aktivist*innen hier und andernorts setzen wir uns weiter für radikale emanzipatorische Veränderungen unserer Gesellschaft ein. In diesem Sinne unterstützen wir Menschen, die ihre Situation nicht länger erdulden und z.B. leeren Wohnraum besetzen – nicht zuletzt, um sich zu schützen. Gleichzeitig stellen wir fest, welchen beachtlichen Spielraum für Maßnahmen Politiker*innen in den letzten Tagen offenbar haben und nutzen können. Daher fordern wir gemeinsam mit anderen Initiativen und Organisationen von den Ratsmitgliedern der Stadt Göttingen folgende Sofortmaßnahmen mit anschließenden Folgemaßnahmen:

[S] Wiedereinführung des Anonymen Krankenscheins für illegalisierte Geflüchtete.
[F] In der Folge sollen sich die Ratsmitglieder in ihren Parteien und Gremien für eine gerechte, bestmögliche Gesundheitsversorgung für Alle einsetzen. Das bedeutet u.a., die Privatversicherung abzuschaffen zugunsten einer solidarischen gesetzlichen Gesundheitsversicherung für alle sowie allen Menschen in Deutschland Zugang zu gleichen Behandlungsmöglichkeiten zu bieten.

[S] Besorgung von Wohnraum und Behelfsunterkünften, indem derzeit leere Wohnungen im Stadtgebiet und ergänzend flächendeckend Hotelzimmer angemietet oder beschlagnahmt werden und Wohnraum kommunal (zurück-) erworben und vergesellschaftet wird.
[F] In der Folge sollen sich die Ratsmitglieder in ihren Parteien und Gremien auf kommunaler, aber auch Landes- und Bundesebene für eine konsequente Wende in der Wohnungspolitik einsetzen hin zu öffentlich finanziertem, selbstverwaltetem Wohnen.

[S] Auflösung der Geflüchteten-Unterkünfte Europaallee, Albrecht-Thaer-Weg, Zietenterrasse, Carl-Giesecke-Str., Maschmühlenweg verbunden mit dauerhaften Wohnangeboten für Geflüchtete und Obdachlose nach dem Prinzip „Für jeden Menschen mindestens ein eigener Raum“.
[F] In der Folge sollen die Ratsmitglieder die bereits für Wohnungsbau für Geflüchtete zurückgestellten 5 Mio. Euro aufstocken und entsprechende Baumaßnahmen einleiten.

[S] Beständiges Abholen von Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen und geschützte, gute Lebensbedingungen für sie in Göttingen vorhalten, verbunden mit der Bereitschaft, einen möglichen Rechtsstreit wegen der Aufnahme mit dem Bund auszutragen.
[F] In der Folge sollen sich die Ratsmitglieder in ihren Parteien und Gremien konsequent für eine Öffnung der europäischen Außengrenzen für Flüchtende und erforderliche Maßnahmen für eine sichere Migration einsetzen, z.B. bzgl. der Überquerung des Mittelmeers.

[S] Akut erforderliche Aufstockung der Ausstattung sozialer Anlaufstellen und Einrichtungen (Frauen-Notruf, Frauenhaus, Göttinger Tafel, Straso, Migrationszentrum u.a.) sowie ergänzend Betrieb von Soliküchen auf öffentlichen Plätzen mit kostenfreiem Essen.
[F] In der Folge sollen sich die Ratsmitglieder in ihren Parteien und Gremien für eine flächendeckende Stärkung von Basisinitiativen für Gesundheit, Essen, Beratung, Wohnen, solidarisches Miteinander einsetzen, indem erforderliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

[S] Unmissverständliche Positionierung gegen Rechtspopulismus und Rassismus in jedem öffentlichen Statement. Dabei muss u.a. die besonders bedrohliche Lage von Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen und vor Ort sowie von Obdachlosen benannt werden. Die Notwendigkeit gleicher Möglichkeiten für Alle muss deutlich werden.
[F] In der Folge sollen sich die Ratsmitglieder in ihren Parteien und Gremien für eine radikal ausgleichende Umverteilung von Ressourcen von oben nach unten einsetzen, wozu die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer gehören, die Entmilitarisierung des öffentlichen Raums mit vollständigem Rückbau des Verteidigungshaushalts und als nächsten Schritt ein faires bedingungsloses Grundeinkommen für alle Menschen, um in Würde leben zu können.

Our House OM10, 31. März 2020

Unterkünfte evakuieren, (Hotel)Leerstand nutzen – Fotoaktion und Pressemitteilung

Für schützendes, dezentrales Wohnen von Geflüchteten und Obdachlosen!
Wohnungsleerstand und leere Hotelzimmer nutzen!
Alle Sammelunterkünfte und Lager sofort evakuieren – in Göttingen, in Griechenland und überall!

In Zeiten der Corona-Pandemie fordern wir umso dringlicher, vorhandenen Leerstand in Göttingen zu nutzen. Dieser findet sich z.B. in Hotels, privaten Wohnungen und Spekulationsobjekten sowie nach wie vor im Wohntrakt des ehem. Goethe-Instituts/Fridtjof-Nansen-Haus. In all diesen Räumen können jetzt sowohl Geflüchtete aus Unterkünften und Lagern als auch Obdachlose eine schützende, dezentrale Unterbringung bekommen. Expert*innen fordern, zur Eindämmung der Corona-Pandemie auf gute Hygiene und einen ausreichenden Abstand zu anderen Menschen zu achten: So müssen wir unsere Begegnungen, auch die mit Freund*innen, weitgehend einschränken, um die befürchteten Ansteckungsketten zu unterbrechen oder zu verlangsamen. In diesem Zusammenhang wird von der Politik wiederholt Solidarität in der Zivilgesellschaft dringend eingefordert. Dabei werden offensichtlich ganze Gruppen wie Geflüchtete oder Obdachlose gar nicht mitgedacht. Geflüchtete bleiben auf ihre überfüllten Zimmer und Gemeinschaftsräume in den Sammelunterkünften festgelegt. Und auch für den Schutz und die Versorgung von Obdachlosen gibt es noch keine Lösungen.

In den Sammelunterkünften für Geflüchtete erhalten Betroffene keine Gelegenheit zur sozialen Distanzierung. Die derzeit so dringlich diskutierten, empfohlenen und durchgesetzten Gesundheitsmaßnahmen gelten somit nicht für alle Menschen. Beispielsweise in den Unterkünften in der Carl-Giesecke-Straße, der Europa-Allee, dem Albrecht-Thaer-Weg, aber auch dem Obdachlosen-Wohnheim im Maschmühlenweg leben die Menschen beengt, oft in Mehrbettzimmern. Sanitäre Einrichtungen müssen mit vielen anderen zwangsläufig geteilt werden. Es fehlt hier sowohl die Möglichkeit die Privatsphäre zu schützen oder sich zurückziehen zu können als auch die gebotenen Abstandsregeln einzuhalten. Die Stadt Göttingen wie auch die von ihr beauftragten Betreiber missachten mit diesen Verhältnissen in den Sammelunterkünften täglich die Würde der Menschen. Zudem findet eine Covid-19-Erkrankung hier unter der gegebenen Dichte der Belegung ideale Ausbreitungsbedingungen.

Seit Jahren fordern die Betroffenen menschenwürdige Wohnverhältnisse. Doch das wird bislang sowohl von der Stadt als auch dem Landkreis Göttingen weitgehend ignoriert. Dabei könnte schon seit Jahren der vorhandene Wohnungsleerstand für eine würdige und gesunde Unterbringung der Bedürftigen genutzt werden. In der aktuellen Corona-Krise kommen noch hunderte von leerstehenden Hotelzimmern hinzu, in denen sofort Geflüchtete und Obdachlose sicher untergebracht werden können.

Deshalb fordern wir eine sofortige Entzerrung der unwürdigen und gefährlichen Enge in den Sammelunterkünften:

Wir fordern für jeden Menschen Platz zum menschenwürdigen Wohnen und Rückzugsmöglichkeit!
Wir fordern die sofortige Öffnung und Nutzung von leerstehenden Wohnungen und Häusern!
Wir fordern das Beziehen von Hotelzimmern für Geflüchtete und Obdachlose!

All diese Forderungen müssen für alle Massenunterkünfte in der BRD und Europa sowie in den Lagern beidseitig der europäischen Grenze gelten. Wenn beispielsweise in Moria auf der Insel Lesbos 20.000 Menschen in einem Lager eingepfercht sind, das ursprünglich für 3000 Personen geplant war, wird ein Ausbruch von Corona hier ein kalkuliertes Massensterben zur Folge haben. Wir dürfen nicht länger zulassen, dass die Politik die Würde und die Lebenschancen dieser Menschen missachtet.

Unsere Solidarität endet nicht an den Grenzen der Staatszugehörigkeit oder von Europa. Für uns sind das Recht auf menschenwürdiges Leben, das Recht auf Wohnen und Bewegungsfreiheit unteilbar. Treten wir der nationalistischen Ignoranz entschieden entgegen und überwinden wir die Politik der Spaltungen.

Massenunterkünfte und Lager überall auflösen – Wohnungsleerstand und freie Hotelzimmer nutzen!
Freier Zugang zu medizinischer Beratung und Versorgung für alle Menschen!
Geflüchtete aufnehmen statt Sterben lassen!
Grenzenlose Solidarität statt Festung Europa!

#LeaveNoOneBehind #RefugeesWelcome #SaveThem #NoBorders

Housing Action Day am 28.03.2020 – Wohnen für Menschen statt für Profite!

Pressemitteilung des Bündnis Gutes Wohnen für Alle!

Forderungen für Göttingen und Sofortmaßnahmen wegen der Corona-Pandemie

Der internationale Housing Action Day am 28. März 2020 findet aus Rücksicht vor Verbreitung des COVID-19 ohne öffentliche Aktionen statt. Umso mehr fordert das Göttinger Bündnis „Gutes Wohnen für Alle!“ gemeinsam mit einem bundesweiten Aktionsbündnis aus mehr als 100 Initiativen in 38 Städten Sofortmaßnahmen und eine dringende Kehrtwende in der Wohnungspolitik. Die für die Aktionswoche geplante Podiumsdiskussion zu Landeswohnbaugesellschaften, eine Fahrradtour durchs „Miethaibecken“ sowie eine Protest-Kundgebung werden auch künftig von Bedeutung sein, verlautet das Bündnis. Ein neuer Termin des Aktionstages werde rechtzeitig bekannt gegeben.

Nicht zuletzt die Pandemie des COVID-19 beweist, wie wichtig unser Wohnraum auch als Schutzraum ist. Es ist grundsätzlich, dass das Menschenrecht auf Wohnen Umsetzung findet. Wir fordern eine Verstärkung des gemeinwohlorientierten und sozialen Wohnungsbaus auf allen Ebenen, um menschenwürdiges Wohnen für alle Menschen zu ermöglichen. Gemeinsam machen wir uns gegen Verdrängung und Wohnungslosigkeit stark!“, verlautet das Göttinger Bündnis. Die Vernetzung auf bundesweiter und europäischer Ebene sei dabei zentral.

Das Bündnis „Gutes Wohnen für Alle“ fordert die Stadt Göttingen, zuständigen Behörden aber auch Wohnungsunternehmen auf, vor dem Hintergrund der aktuellen Lage Sofortmaßnahmen zu ergreifen:

* Sofortiger Stopp von Räumungsklagen und Zwangsräumungen
* Sofortiges Moratorium für Mieten- und für Hypothekenzahlungen
* Erlass von Mietschulden Keine Energie- und Wassersperren
* Auflösung von Sammelunterkünften wie Lagern und die dezentrale, menschenwürdige Unterbringung
* Öffnung der Schlafunterkünfte für Wohnungslose auch tagsüber
* Alle denkbaren Spielräume ausschöpfen, um Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Dabei sollte nicht Halt gemacht werden, auch auf Leerstand und Ferienwohnungsbranche zuzugreifen.

Das Göttinger Bündnis „Gutes Wohnen für Alle“ besteht aus Gewerkschaften, Sozialverbänden, politischen Gruppen und Mieter*inneninitiativen. Wir kämpfen gemeinsam für eine Kehrtwende in der Wohnungspolitik. Wir teilen unser Wissen, wir werden gemeinsam aktiv, wir bilden uns und gehen später auch wieder auf die Straße – bis das Recht auf Gutes Wohnen für Alle Menschen erkämpft ist!

Wir erleben, wie sich die öffentliche Diskussion in den Medien um Wohnraum und das Recht auf Stadt bundesweit immer weiter zuspitzt. Wohnraum ist weiterhin Spekulationsobjekt, der Bestand an Sozialwohnungen nimmt ab, ganze Wohnviertel werden gewinnbringend umstrukturiert. Verdrängung, Mieterhöhung, Privatisierung, unnötige Modernisierung, Leerstand, Wohnungslosigkeit und vieles mehr sind an der Tagesordnung und zerstören Existenzen.

Auch in Göttingen stehen viele dieser Probleme auf der Tagesordnung: Mieter*innen werden verdrängt wie in der Unteren-Masch-Straße 13, ganze Viertel werden „aufgewertet“ und unnötig modernisiert wie in Grone, es wird versucht Mieter*innen falsche Nebenkosten unterzuschieben wie bei Vonovia… Die Liste von Problemen und Ungerechtigkeiten lässt sich lange fortführen. Dabei lässt sich erkennen: Wenn Wohnen nach Profitinteressen und nicht nach den Bedürfnissen der Menschen organisiert wird, können die Mieter*innen nur verlieren.

Wir wollen diese Ungerechtigkeit und Gewalt nicht mehr dulden. Wir widersetzen und solidarisieren uns. Der Ausverkauf der Städte im Interesse einiger weniger ist kein Naturgesetz, sondern die Konsequenz einer Wirtschaftslogik und einer Politik, die ihren Kompass der sozialen Verantwortung verloren hat. Gemeinsam können wir das ändern!

Unsere konkreten Forderungen für Göttingen sind:

1. Ausbau von öffentlich/genossenschaftlich verwaltetem Wohnungsbau. Boden und Wohnungsbestände ankaufen und dem privaten Markt entziehen. Kein Verkauf von städtischem und öffentlichem Eigentum
2. Erhalt und Ausbau von sozialem Wohnraum in allen Stadtvierteln auch im Bestand.
3. Für eine Stadtpolitik im Interesse der Stadtbewohner*innen. Stadtpolitik gegen die Interessen von profitorientierten Immobilienkonzernen (z.B. Adler, Vonovia, Coreo und Bassil).
4. Konsequente Unterstützung der Stadt von Leistungsbezieher*innen für ihr Recht auf gutes Wohnen (Quadratmeterpreise, Wohnstandard, keine Sammelunterkünfte)
5. Für ein einklagbares Recht auf Wohnen, Wohnungslosigkeit beenden.
6. Leistbarer Wohnraum für Alle. Durchsetzung eines Mietendeckels.
7. Leerstand zu Wohnraum, Spekulation bekämpfen, Demokratisierung fördern. Wohnen für Menschen statt für Profite.

Göttingen, 25.03.20
Bündnis Gutes Wohnen für Alle!

Kontakt:
guteswohnenfueralle@riseup.net