Irgendwie war beim Lesen klar, die erste PM – das kann nicht echt sein. Nachdem ich das Dementi der Grünen gelesen habe, wollte ich aber doch ein paar Sachen dazu sagen:
= Massenunterkünfte
„Klassische Massenunterkünfte haben wir in Göttingen gar nicht“, steht in ihrem Dementi. Wir haben es schon Frau Broistedt erklärt und erklären es jetzt noch einmal den Grünen: Gemeinschaftsunterkunft ist ein Euphemismus. Dieser Begriff wurde Anfang der 80er Jahre eingeführt, weil er sich einfach besser als Flüchtlingslager, Sammellager oder Asylsammelunterkunft anhört. Eine Gemeinschaft suggeriert aber einfach etwas heimeliges, geselliges, deshalb wurde damals dieser Begriff gewählt.
Eine GU ist eine Massenunterkunft. Charakteristisch ist der stetige Wechsel der Belegung, sowie Gemeinschaftstoiletten und fehlende Rückzugs- und Abgrenzungsmöglichkeiten. Außerdem existiert ein eigenes ex- oder internes Regelwerk, das die individuelle Freiheit der Betroffenen einschränkt. Entscheidend ist ein unfreiwilliger gesteigerter gegenseitiger Kontakt. Typisch ist auch das Fehlen von Briefkästen.
Massenunterkünfte: Rechtlich und politisch also ein völlig zutreffender Begriff, den die Grünen aber als Lüge ausmachen. Gemeinschaftsunterkünfte sagen die Grünen weiter, sind doch sinnvoll für neuankommende Menschen, weil sie dort Unterstützung und Orientierung bekommen. Das Ziel sei natürlich trotzdem, so schnell wie möglich in eine eigene Wohnung ziehen zu können. Was sie wieder völlig außer Acht lassen, ist der eigene Wille der Menschen. Sie werden gezwungen, in diesen Unterkünften zu wohnen. Sie können sich weder aussuchen, in welcher Stadt sie leben noch in welchem Haus noch mit wem. Sie werden einfach komplett fremd bestimmt. Und hier tun die Grünen so, als täten sie den Menschen damit einen Gefallen. Und Wie ist das Leben in diesen Massenunterkünften? 6 Menschen in kleinsten Wohnungen, immer 2 Personen in einem Zimmer. Gemeinsame Küchenzeile und gemeinsames Bad. Stress ist vorprogrammiert. Fehlende Privatsphäre führt auf Dauer zu Streit und psychischen Störungen. Aber damit nicht genug. Wir haben viele Berichte darüber erhalten, wie die Menschen in diesen Unterkünften auch noch zusätzlich drangsaliert und entrechtet werden. Alleinstehende werden unter Umständen einfach rausgeworfen und müssen dann in die Obdachlosenunterkunft Maschmühlenweg. Unzumutbare Lebensbedingungen und ständig kontrolliert von der Security. Niemand will dort bleiben. Aber wer dort nicht regelmäßig schläft (woher wissen die das eigentlich?) wird abgemeldet, obdachlos gemacht und bekommt dann keine Sozialleistungen mehr. Kontrolle über Anwesenheiten von einzelnen Personen: Die Sozialarbeiter*innen geben offensichtlich Informationen an die Sozialbehörde weiter, darüber, wie häufig sich bestimmte Bewohner*innen dort aufhalten. Einige sollten sich auf einer Liste von den MitarbeiterInnen unterschreiben lassen, wann sie kommen und wann sie gehen. Ein Unding. Dazu hat der AK Asyl sogar die Leitung von Bon Veno angeschrieben. Bis heute gab es darauf keine Antwort. Im Übrigen habe ich auch schon etliche Anträge an das Sozialamt/Wohnungsamt gestellt für
Menschen mit psychischen Erkrankungen, die dringend eine Einzelunterbringung benötigen. Auch auf diese Anträge gab es nie eine Antwort. Statt dessen werden Zimmer einfach leer stehen gelassen, damit sich niemand an das alleine wohnen gewöhnen kann. Selbst jetzt in Corona-Zeiten wird diese Praxis fortgesetzt. Erst nachdem in einer Unterkunft der erste Corona-Fall aufgetreten ist, haben die anderen dort lebenden Menschen ein Einzelzimmer bekommen. Und hierzu steht in der Dementi-PM der Grünen, sie lehnen die Forderung nach Unterbringung in
Hotelzimmern ab. Wer keine Anerkennung hat und doch eine Wohnung gefunden hat, dem wird der Auszug vom Sozialamt verweigert. Zu diesem Problem hatte ich
übrigens ein Fraktionsmitglied der Grünen schon mal angeschrieben, aber auch keine Antwort erhalten. Keine Antworten, das ist die Reaktion, wenn wir uns direkt an die Verantwortlichen wenden! Im Übrigen fast alles Sachen, die wir immer wieder öffentlich gemacht haben. Unterstützung von seiten der Politik zu all diesen Problembereichen? Fehlanzeige. Statt dessen wird immer wieder diese Art der Behandlung totgeschwiegen oder verteidigt. Und statt für mehr Sozialwohnungen zu sorgen, werden Investoren immer wieder von der Stadt von der Auflage befreit, 30% der Wohnungen als Sozialwohnungen zu bauen,
= Die Arbeit der Ausländerbehörde
Nachdem die Ausländerbehörde in das Amtshaus umgezogen war, hatten sich die Grünen gefreut, dass jetzt endlich die Willkommenskultur Einzug gehalten hätte – ein Warteraum mit Kinderspielecke und kontinuierlicher Verbesserung der Einzelfallberatung. Wir begleiten oft Menschen zur Ausländerbehörde. Eines ist immer vorherrschend. Die Angst! Die Angst davor, wieder einmal scheiße behandelt zu werden; die Angst davor, keine Aufenthaltsverlängerung zu bekommen; die Angst davor, von der Polizei abgeführt und abgeschoben zu werden. Da hilft auch keine
Kinderspielecke, die eine Willkommenskultur vortäuschen soll. Einzelfallberatung habe ich in den unzähligen Besuchen nie erlebt! Stattdessen Druck und Schikane.
Z.B. 3-Tages-Duldungen – wir haben bundesweit rumgefragt. Diese Praxis
ist aus keiner anderen Stadt bekannt, wird nur in Göttingen praktiziert.
Sie ist auch weder im Gesetz noch in den Ausführungsbestimmungen
vorgesehen. Z.B. Passbeschaffung – Fahrten zur Botschaft, obwohl von vornherein klar ist, das funktioniert nicht – Bsp. Libanon und Pakistan. Dafür dann kein Geld für die Zugfahrt vom Sozialamt. Statt dessen wird den Leuten unterstellt, sie wären gar nicht wirklich bei der Botschaft gewesen. Z.B. Hausdurchsuchungen nach Pässen – das ist inzwischen von einigen Gerichten untersagt worden. Empörung seitens der Politik? Fehlanzeige.
= Abschiebungen
„Unser Ziel ist die abschiebefreie Stadt“, steht in der Dementi-PM. Die Behörde wird von den Grünen dazu angehalten, ihren Ermessensspielraum maximal zu Gunsten der Betroffenen auszulegen. Wie sieht das Maximale denn aus? Die Polizei bekommt die Schlüssel von der Behörde für die Wohnungen ausgehändigt und wird von der Security dabei unterstützt, die Familien oder Einzelpersonen nachts aus den Betten zu holen und sie abzuschieben. Wenn kein Schlüssel da ist, wird eben die Tür aufgebrochen. Da spielt es dann nicht mal eine Rolle, dass die Wohnung anderen Personen gehört. Dazu haben wir viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht, weil die Privatsphäre einer Wohnung im Grundgesetz verankert ist. Aber das interessierte die Stadt nicht. Von den Grünen habe ich dazu kein Statement gesehen. Und Nachts, immer nachts – obwohl in einem nds. Erlass steht, dass von nächtlichen Abschiebungen abgesehen werden soll. Weil sich viele Menschen deshalb gar nicht mehr getraut haben, „zu Hause“ zu schlafen, hat sich die ABH was neues einfallen lassen, nämlich die Betroffenen direkt vor oder nach einem Termin vor der Behörde festnehmen zu lassen. Danach traute sich erst recht niemand mehr in die Ausländerbehörde zu gehen. Wir haben Kontakt zu einigen Menschen, die bereits abgeschoben worden sind. Wissen Sie, was nach der Landung passiert? Die Menschen werden einfach auf die Straße gesetzt, ohne Geld, ohne Medikamente, ohne irgendwas. Auch alleinstehenden Frauen ergeht es so. Wir haben dann von hier aus z.B. ein Hotel organisiert und Kontakte vermittelt. Oder Samir Cavalic – der mit einer schweren Psychose und einer Tablette eiskalt abgeschoben wurde. Oder Gani Rama – der obdachlos leben musste, unter einer PTBS litt und schließlich in Pristina ermordet worden ist. Wo ist hierzu die PM der Grünen?
Es gibt noch viel zu sagen, viel zu viel. Und es läuft Scheiße! Auch hier in Göttingen. Aber ich habe jetzt schon genug geredet und einige besondere Probleme aufgezeigt. „Wir handeln. Es wäre schön, dieses gemeinsam zu tun…“ schreiben die Grünen. Wir handeln auch und warten immer noch auf ihre Antworten.
Unsere Positionen sind klar:
Auflösung aller Lager! Wohnungen für Alle!
Abschiebungen sofort stoppen! Bleiberecht für Alle!
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Uns wurde der Redebeitrag zur europäischen Außengrenze und der Flüchtlingspolitik der Günen weitergeleitet, der von anderen Zusammenhängen ebenfalls am 26.05.20 bei der Kundgebung gehalten wurde. Europäische Außengrenze und die Grünen_26052020
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