Kommentar der OM10, 4. Februar 2021
Lassen wir uns in unseren Bewegungen linksradikale Politik verbieten? Sicherlich nicht. Doch genau das will der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius am Beispiel der Antifa aktuell untersuchen. Trotz Definitionsproblemen bezüglich der Antifa soll nun eine Sammelbewegung kriminalisiert werden, die sich gegen den Nationalsozialismus und sein Erbe richtet! Und dies angesichts der zunehmenden rassistischen und antisemitischen Übergriffe, wie den Angriffen und Morden in Halle und Hanau oder der faschistischen Strukturen in staatlichen Behörden. An diesem sowie zwei lokalen Beispielen aus den Bereichen Antirassismus und Wohnungspolitik wollen wir zeigen, wie in Verkehrung der Verhältnisse die Kriminalisierung linksradikaler Politik im Raum Göttingen vorangetrieben wird. Es liegt an uns, aktiv zu bleiben und den Fokus weiter auf das gewaltförmige System zu lenken.
*** Tobendes Meer, erfrierende Menschen, mörderische Frontex ***
Graffitis in Göttingen zeigen das tobende Meer, Menschen, die gegen das Ertrinken ankämpfen, schwimmende Rettungsringe von vielleicht schon Ertrunkenen? Die Graffitis an unterschiedlichen Wänden in Göttingen machen auf die perfide europäische Politik an den EU-Außengrenzen aufmerksam. Die Göttinger Polizei sieht diese Kunstform als Straftat mit politischem Hintergrund und es fällt ihnen nichts Anderes ein, als den Staatsschutz ermitteln zu lassen. Es werden nun also Künstler_innen kriminalisiert, die aufzeigen, wie Geflüchteten im Mittelmeerraum ihre menschliche Würde verweigert und sie auf alle Arten entrechtet werden? Eine Aufgabe der Kunst ist es, die Politik und Gesellschaft zu betrachten, Menschen zu erreichen und zu sensibilisieren. Wo kann öffentlicher auf die grausame europäische und deutsche Flüchtlingspolitik aufmerksam gemacht werden als auf grauen Mauern einer Innenstadt? Dies ist keine Straftat. Verbrechen hingegen ist es, Menschen das Recht auf einen angemessenen Asylantrag zu verwehren, wenn sie aufgrund der Ausbeutung und Zerstörung ihrer Lebensgrundlage durch multinationale Konzerne, ausbeuterischer Freihandelsabkommen, zerstörerischer Kriege und deutscher Rüstungsgeschäfte fliehen müssen. Es ist ein Verbrechen, dass deutsche Polizist_innen zusammen mit Frontex und der durch die EU finanzierten libyschen Küstenwache Schlauchboote von Geflüchteten zerschießen, sie illegal über Grenzen durch den Einsatz von Waffen und Hunden zurückdrängen oder Geflüchtete an der Euro-Außengrenze verhungern oder erfrieren lassen. Wir verändern das Zitat des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius nur um wenige Worte: „Wir stellen in […] [der EU] eine starke Radikalisierung der […] [militärischen Abschottung an den EU-Außengrenzen] fest, die sich zu einer terroristischen Struktur entwickelt“. Die treibenden Kräfte in der Politik der Abschottung, des aktiven Tötens, des Sterbenlassens und des Abschottens gehören kriminalisiert!
*** Immobilienhaie, explodierende Mieten und Massenunterkünfte ***
Es wird ein Banner an das Gothaer-Haus in der Göttinger Innenstadt gehängt. Seit über 10 Jahren stehen 13 000 qm Nutzfläche mit 2400 qm für Mietwohnungen im Gothaer Haus in der Göttinger Innenstadt leer. Trotz des ausbleibenden Sozialwohnungsbaus, explodierenden Mieten und sozialer Verdrängung in sogenannte „soziale Brennpunkte“ wie die Groner Landstraße 9, 9a, 9b oder das Iduna Zentrum, plant der Besitzer Development Partner AG Düsseldorf unter dem Schutzmantel der Stadt Göttingen das Gothaer-Haus abzureißen und ein neues, luxuriöses Wohn- und Geschäftshaus zu errichten. Auch hier wird die altbekannte verfehlte Wohnungspolitik fortgeführt. Mit einer Transparentaktion wurde auf diesen Missstand aufmerksam gemacht. Die Göttinger Polizei sieht dies als eine politisch motivierte Straftat und lässt auch hier den Staatsschutz ermitteln. Es werden wieder Aktivist_innen kriminalisiert, die aufzeigen, wie die Stadt Göttingen den sozialen Wohnungsbau für Geflüchtete und Obdachlose seit Jahren verweigert. Continue reading Gegen die Kriminalisierung linksradikaler Politik – für eine solidarische Gesellschaft →