Liebe Genoss*innen, nach der Veranstaltung am 18.10.24 im Saal der OM10 haben wir uns mit Aktivist*innen der veranstaltenden Gruppe ZfG zusammengesetzt und einen kritischen, offenen Austausch über die zukünftige Zusammenarbeit geführt. Nach diesem Gespräch haben wir uns zu folgender Erklärung entschieden:
Erklärung der OM10 zur Veranstaltung vom 18. Oktober 2024 mit PSDU-Referent*innen
Am 18. Oktober 2024 fand in der OM10 eine Veranstaltung der Göttinger Gruppe ZfG (Zivilgesellschaft für Gerechtigkeit) statt. Die ZfG hatte Referent*innen der PSDU (Palästina Solidarität Duisburg) eingeladen, um einen Vortrag über ihre Festnahmen, Hausdurchsuchungen und die laufende Kriminalisierung der Gruppe zu halten. Thema der Veranstaltung war die Kriminalisierung der palästinensischen Aktivitäten in Deutschland, die versuchen eine Beendigung des Krieges und letztlich auch der Okkupation zu erreichen. Die beiden Referent*innen haben im Laufe der Veranstaltung ausführlich über die Repression, die sie erlebt haben, berichtet.
Erst zu spät haben wir davon erfahren, dass die PSDU letztes Jahr durch (mindestens) ein Posting in Sozialen Medien den Angriff der Hamas und anderer bewaffneter palästinensischer Gruppen in Gaza vom 7. Oktober 2023 als legitimen Akt des Widerstands gefeiert hat. Der Einsatz von Mord an Zivilist*innen, Vergewaltigung und Verschleppung ist kein progressiver Widerstand. Der Ausbruch schrecklicher Gewalt am 7. Oktober auf zivile Bevölkerung im Süden Israels hat auch uns schockiert. Massaker und Angriffe auf die Zivilbevölkerung sind Kriegsverbrechen, die wir tief verurteilen. Es schmerzt uns zutiefst und wir trauern mit allen Angehörigen, unabhängig davon, ob es sich um palästinensische oder israelische zivile Opfer handelt.
Als emanzipatorisches Hausprojekt sehen wir unseren Fehler, uns im Vorfeld dieser Veranstaltung nicht näher mit den eingeladenen Referent*innen und der Gruppe beschäftigt zu haben. Wir bedanken uns bei den Genoss*innen, die sich mit solidarischer Kritik direkt an uns gewandt haben.
Gleichzeitig betonen wir, dass jahrzehntelange israelische Kriegsverbrechen mit ethnischer Säuberung und Siedlungspolitik, unterstützt durch verbündete westliche Staaten, die Lebensbedingungen in Gaza unerträglich gemacht und den Boden für weitere Kriegsverbrechen bereitet haben. Es ist uns wichtig, die hundertjährige durch Nationalstaatsbildung eskalierte Unterdrückung in der Region zu erkennen und Selbstbestimmung für unterdrückte Gesellschaften zu fordern.
Wir erleben heute die Folgen des schmutzigen Krieges gegen das über Jahrzehnte belagerte Gaza. Solange eine rechtsextreme Regierung in Israel, terroristische Organisationen in Gaza und herrschende religiöse Führer die Politik in der Region bestimmen, wird es zivile Opfer auf allen Seiten geben. Dazu kommen reaktionäre, autokratische Machthaber in der Region wie Iran, Türkei, die versuchen ihre Einflusssphären zwischen den großen Machtblöcken zu sichern und zu vergrößern. Dabei werden sowohl die palästinensische und auch die jüdische Bevölkerung in die Rolle einer Geisel dieser Politik gedrängt – Nutznießerin ist sie trotz aller Beteuerungen der Machteliten am Ende nie.
Von den westlichen Staaten, allen voran Deutschland, werden die andauernden Kriegsverbrechen an den Palästinenser*innen in Gaza 2009, 2014, 2018 sowie aktuell in Gaza und Libanon mit dem „Selbstverteidigungsrecht“ legitimiert. Palästinensische Aktivitäten und solidarischer Protest werden hingegen insgesamt als terroristisch gerahmt, bezeichnet und kriminalisiert. Die Mainstream-Medien präsentieren dabei weitgehend die staatliche israelische Sichtweise. Gleichzeitig ignorieren sie jede Legitimität des palästinensischen Widerstands und diffamieren sogar Palästina selbst. Dabei verharmlosen sie, wenn faschistische Minister der rechtsextremen Regierung Nethanjahu offen das Ziel eines »Großisrael« verkünden – mit entsprechend geplanten ethnischen Säuberungen und flankierenden Entmenschlichungen. Der Krieg gegen die Menschen in Gaza ist ein genozidaler Krieg mit finanzieller und militärischer Unterstützung u.a. der USA und der Bundesregierung.
Wir distanzieren uns von massiver Propaganda, in der es nur zwei Alternativen geben soll: für eine „revolutionäre“ Hamas oder für einen “guten“ Staat Israel. Wir weisen diese Kriegslogik zurück! Wir machen eine transnationale emanzipatorische Position stark, gegen Krieg und Terror, gegen Besatzung und Unterdrückung, für Frieden und Selbstbestimmung.
Wir wehren uns dagegen, dass in Deutschland eine bedingungslose Solidarität mit dem Staat Israel gefordert und erstarkender Antisemitismus ausgelagert wird. Statt den hier tief sitzenden Antisemitismus konsequent zu bekämpfen und jüdisches Leben zu schützen werden palästinensischer Protest und bestimmte Bevölkerungsgruppen kriminalisiert und Rassismus befeuert. Mit der Lieferung von Waffen wird Profit gemacht, aber ein Ende der Gewalt ist nicht in Sicht – und wird es so nicht geben.
Wir stehen an der Seite der Unterdrückten in Palästina und der Kriegsgegner*innen in Israel, der Gesellschaft und den Menschen auf beiden Seiten, die ihr Zuhause verloren haben und um ihr Leben, ihre Sicherheit oder ihre Angehörigen bangen.
Wir fordern von den Verantwortlichen und wünschen den Protestbewegungen ein sofortiges Ende der Waffenlieferungen an Israel und der Angriffe auf Gaza und den Libanon.
Es kann keinen Frieden geben ohne Gerechtigkeit, Anerkennung und Wiedergutmachung begangenen Unrechts. Dazu gehört das Ende des zionistischen Projekts mit ethnischen Säuberungen und der Gewalt gegen Nachbar*innen. Nur eine Gesellschaft, die durch gleiche Rechte für alle Bewohner*innen dieser Region bestimmt wird und diese garantiert, kann den Frieden sichern. Wir sind überzeugt, dass dies nur mit einer von der Gesellschaft getragenen Basis-Bewegung von unten und mit internationaler Solidarität möglich ist.
Die OM10 soll ein Ort sein, an dem Diskussion und notwendiger denn je Ringen um Lösungen der gesellschaftlichen Probleme möglich sind. Angesichts des gegenwärtigen Klimas in Deutschland, in dem antimuslimischer und antipalästinensischer Rassismus herrscht, Palästinenser*innen aufgrund ihres emanzipatorischen Protests ausgeschlossen und zum Schweigen gebracht werden, werden wir uns gegen ihre Kriminalisierung einsetzen. Angesichts des gegenwärtigen Klimas in Deutschland, in dem Antisemitismus erstarkt und Rechte auf dem Vormarsch sind, werden wir Raum bieten für Juden_Jüd*innen, die sich jenseits der herrschenden Norm und staatlicher Institutionen für Frieden und ein Leben in gleichberechtigtem Miteinander einsetzen; den Angriffen auf jüdische Einrichtungen und der Bedrohung jüdisch gelesener Mitmenschen treten wir entschieden entgegen. Wir wollen einen Raum bieten – auch für Palästinenser*innen und Juden_Jüd*innen –, um sich zu begegnen, die eigene Geschichte zu diskutieren und an einer Welt zu arbeiten, die die gesamte Menschheit gleichberechtigt zusammenhalten kann. Wir lassen nicht zu, dass Rassismus und Antisemitismus gegeneinander ausgespielt werden. Unser Ziel liegt jenseits von Nationalismus, Religionismus und herrschender Staaten.
November 2024, OM10