Kriminalisierung von Polizei und Justiz nach Abschiebeblockade läuft ins juristisch Leere
Am 05.09.22 endete das Berufungsverfahren von R. anlässlich einer Anti-Abschiebeblockade vor dem LG Göttingen mit einer Einstellung ohne Auflage. Die Verhandlung dauerte nur wenige Minuten, die wartenden Polizeizeugen wurden gar nicht vernommen. R. war der letzte in einer Reihe von Angeklagten, dessen Kriminalisierung vier Jahre nach der Abschiebung von Willard Gondo am 24. Mai 2018 noch andauerte.
Ein Grund zur Freude? Jein.
Mit Blick auf den Moment ist es ein juristischer Erfolg, dass das vorangegangene Urteil des Amtsgerichts gegen R. über 60 Tagessätze kassiert und das Verfahren eingestellt wurde. Allerdings zeigt sich auch mit nüchterner Klarheit der Schaden, den Ausländerbehörde, Polizei und Justiz angerichtet haben:
– Willard wurde am 24. Mai 2018 unter Zuarbeit von Pascal Comte (DRK) in der Massenunterkunft Siekhöhe von der Polizei festgenommen und in die Polizeidirektion Groner Landstraße verbracht. Die Polizeimaßnahme war rechtswidrig, wie das LG Göttingen drei Monate später feststellte.
– Bei dem Versuch von über 120 Protestierenden, Willard die Durchsetzung seiner Rechte zu ermöglichen und mit einer Blockade der Polizeistation seine Abschiebung zu verhindern, wurden acht Ermittlungsverfahren eingeleitet, sieben kamen zur Anzeige. Daraus folgten ein Freispruch, eine Ermahnung, alle anderen Verfahren wurden gegen Auflage eingestellt. Gestern kam es vor dem Landgericht zur letzten Einstellung – ohne Auflage.
– Die hinzugezogenen Polizeikräfte setzten am 24. Mai 2018 gegen die Blockierer*innen Tritte, Schläge, Kniffe und Pfefferspray ein. Dieses aggressive Vorgehen blieb ohne Konsequenzen.
– Drei Protestierende wurden im Verlauf der Blockade Ingewahrsam genommen. Diese Freiheitsentziehungen waren rechtswidrig, wie das OLG Braunschweig fast drei Jahre später feststellte.
– Willard wurde am 25. Mai 2018 von Berlin nach Norwegen abgeschoben (Dublin-Verordnung). Er ist aktuell auf einer Insel im hohen Norden untergebracht und wartet nach vier Jahren immer noch auf den Ausgang seines Asylverfahrens. Ihr Lebensträume-zerstörendes Vorgehen interessiert die Göttinger Ausländerbehörde nicht mehr, Willard war für die Behörde wie alle anderen auch nur ein Aktenzeichen.
Unterm Strich bleibt ein weiterer Fall von widerlich brutalem Umgang mit Menschen, die ihren Lebensort und ihre Freundschaften selbst bestimmen wollen. Und trotz der juristischen Freisprüche und Einstellungen bleibt wieder einmal eine bemerkenswerte tatsächliche und versuchte Kriminalisierung von solidarischen Menschen, die sich gemeinsam gegen staatliche Angriffe verteidigen. Der Ausgang der juristischen Verfahren wird keine Auswirkung auf die Strategie der Polizei haben, bei nächster Gelegenheit wieder zu provozieren und zu eskalieren.
Wir warten auf Willard und alle, die gerne in Göttingen geblieben wären und noch kommen wollen!
Wir werden uns gegen Abschiebung und Kriminalisierung solidarischer Bewegungen auch in Zukunft zusammenschließen und wehren!