Erneuter Prozess wegen Abschiebung von Willard
Aufruf zur solidarischen Prozessbegleitung
Montag 05.09.22 | 8:30 Uhr | Landgericht Göttingen
Am Montag, 5. September 2022, wird vor dem Landgericht nochmals gegen R. verhandelt. In dem Berufungsverfahren geht es darum, ob R. während einer inzwischen vier Jahre zurückliegenden Anti-Abschiebe-Blockade Widerstand gegen Polizeieinsatzkräfte geleistet hat. R. ist der letzte von den insgesamt sieben im Zusammenhang mit der Abschiebung Angeklagten – für ihn ist das juristische Nachspiel noch nicht zu Ende.
Was war?
Am 24. Mai 2018 wurde Willard Gondo rechtswidrig in der Göttinger Massenunterkunft Siekhöhe festgenommen und anschließend nach Norwegen (Dublin-Verordnung) abgeschoben. Dabei verlief die Abschiebung für die Polizei wieder mal nicht wie geplant. Hatten sich doch in kürzester Zeit empörte und auf die menschenrechtsverachtende Praxis der Abschiebebehörde wütende Freund*innen und Unterstützer*innen vor dem Polizeigebäude in der Groner Landstraße versammelt. Letztlich kamen über 120 Protestierende zusammen und blockierten über Stunden die Ausfahrt des Dienstgebäudes. Lange gab es die Hoffnung, Willard die Chance zu ermöglichen, gegen seine rechtswidrige Festnahme juristische Mittel einzulegen und die Abschiebung zu verhindern. Drei Monate später bestätigte zwar das Landgericht Göttingen, dass Willards Festnahme und Verbringung ohne Rechtsgrundlage durchgesetzt wurden. Für ihn hatte das aber keine Konsequenzen mehr. Sein Asylverfahren in Norwegen läuft nun schon über vier Jahre, er ist auf einer Insel im Norden untergebracht. Willard wünscht sich immer noch, nach Göttingen zurückkehren zu können.
Im Zuge der Blockade kam es zu Geschiebe und Gerangel. Die Einsatzkräfte, welche im Verlauf des Tages Verstärkung aus Hannover und Osterode bekamen, unterließen keine Gelegenheit zu provozieren: Mit Treten, Boxen, schmerzhaftem Kneifen und dem Einsatz von Pfefferspray sorgten sie für ein gereiztes Ambiente. Und dann sollte sich der Einsatz der extra angekarrten Hundertschaft wohl auch lohnen. Nach nur knapp einer halben Stunde ihres Aufmarsches begannen die Festnahmen. Mal hier eine, mal da eine. Gegen sieben Personen wurden schließlich Strafverfahren eröffnet. Eine von ihnen ist der Aktivist, der am 05.09. nochmals vor Gericht steht.
Das juristische Nachspiel
… zeigt das fiese und niederträchtige Vorgehen der an Willards Abschiebung beteiligten Behörden und Institutionen. Zunächst: Die gerichtlich bestätigte rechtswidrige Festnahme und Verbringung von Willard wurde bereits erwähnt. Dann: Die zentralen Anklagepunkte gegen die sieben Aktivist*innen waren immer auch Widerstand (§113) oder Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte (§114). Doch in keinem der anderen sechs Verfahren wegen der Blockade gab es am Ende eine Verurteilung. Eine Person erreichte einen glatten Freispruch, die anderen Verfahren wurden ziemlich schnell gegen Zahlungen an gemeinnützige Vereine eingestellt. Schließlich: Drei Personen haben Klage gegen ihre Ingewahrsamnahmen während der Blockade-Aktion eingelegt. Das OLG Braunschweig gab ihnen Recht, die Polizeidirektion Göttingen erhielt einen Rüffel und bekam die Kosten des Verfahrens aufgebrummt.
Fazit
Nachdem nun alle Verfahren nahezu abgeschlossen sind, scheint sich an den Verhältnissen nichts geändert zu haben: Willard und viele weitere tausend Menschen sind nicht mehr an dem Ort, an dem sie mit viel Hoffnung angekommen sind und leben wollten. Polizeiübergriffe und juristische Verfahren bedeuten für betroffene Aktivist*innen immer auch Stress, Kosten und Energie. Der sog. Schubs-Paragraf §113 StGB ermöglicht Bullen immer noch, wozu er gemacht wurde: Aufmischen, um Festnahmen und folgende Strafverfahren zu kreieren – ein Allround-„Erziehungsmittel“ gegen Soziale Bewegungen, Fußballfans, Partyfeiernde, Migrant*innen…
Doch eine solche Erzählung wäre nicht vollständig: Menschen auf der ganzen Welt kämpfen für Bewegungsfreiheit, ein gutes Leben für Alle und haben große Unterstützungsnetzwerke. Soziale Bewegungen verteidigen sich effektiv gegen verheerende patriarchale, soziale und ökologische Verhältnissen und schaffen Alternativen. Nicht zuletzt stellen wir unsere Solidarität gegen ihre staatliche Repression und faschistische Angriffe.
Kommt zum Landgericht: Es gibt Infos, Kaffee und Zuschauer*innenplätze.