Pressemitteilung
Die Covid-19 Pandemie und der staatliche Umgang damit spitzt die gesellschaftlichen Verhältnisse in jeder Hinsicht zu. Vor diesem Hintergrund fordern wir vom Rat der Stadt Göttingen Sofortmaßnahmen [S]. Anschließend sollen weitergehende Folgemaßnahmen [F] eingeleitet und umgesetzt werden. Wir gehen davon aus, dass erste Sofortmaßnahmen innerhalb von Stunden umsetzbar sind.
Längst bekannte Probleme, Ungerechtigkeiten und Zumutungen werden für ganze Menschengruppen einmal mehr zu gesundheits-, existenz- und lebensbedrohlichen Umständen. Nun sollte erst recht die Zeit sein, das Wohl der Menschen zu schützen und einen gesellschaftlichen Wandel einzuleiten, der die Bedürfnisse aller Menschen über den Erhalt patriarchaler Strukturen und die Sicherung von Profitinteressen stellt.
Unvermeidlich müssen auf diesem Weg die Privilegien von Eliten beschnitten und schließlich abgeschafft werden und eine konsequente Umverteilung der gesellschaftlichen Ressourcen von oben nach unten stattfinden. Unvermeidlich werden wir alle lernen müssen und dazu u.a. im sozialen Umgang ein konsequent antirassistisches, antisexistisches Handeln gegenseitig einfordern – wie derzeit einen verantwortungsvollen Abstand. Auf diesem Weg werden wir nicht bei Null beginnen müssen. Es gibt unzählige soziale Formen, Projekte, Initiativen, die ein solidarisches, bedürfnisorientiertes und emanzipatorisches Miteinander erproben und leben.
Als Wohn- und Aktionsprojekt OM10 konnten wir in den vergangenen viereinhalb Jahren vielfältige Erfahrungen machen. Gemeinsam mit unzähligen Aktivist*innen hier und andernorts setzen wir uns weiter für radikale emanzipatorische Veränderungen unserer Gesellschaft ein. In diesem Sinne unterstützen wir Menschen, die ihre Situation nicht länger erdulden und z.B. leeren Wohnraum besetzen – nicht zuletzt, um sich zu schützen. Gleichzeitig stellen wir fest, welchen beachtlichen Spielraum für Maßnahmen Politiker*innen in den letzten Tagen offenbar haben und nutzen können. Daher fordern wir gemeinsam mit anderen Initiativen und Organisationen von den Ratsmitgliedern der Stadt Göttingen folgende Sofortmaßnahmen mit anschließenden Folgemaßnahmen:
[S] Wiedereinführung des Anonymen Krankenscheins für illegalisierte Geflüchtete.
[F] In der Folge sollen sich die Ratsmitglieder in ihren Parteien und Gremien für eine gerechte, bestmögliche Gesundheitsversorgung für Alle einsetzen. Das bedeutet u.a., die Privatversicherung abzuschaffen zugunsten einer solidarischen gesetzlichen Gesundheitsversicherung für alle sowie allen Menschen in Deutschland Zugang zu gleichen Behandlungsmöglichkeiten zu bieten.
[S] Besorgung von Wohnraum und Behelfsunterkünften, indem derzeit leere Wohnungen im Stadtgebiet und ergänzend flächendeckend Hotelzimmer angemietet oder beschlagnahmt werden und Wohnraum kommunal (zurück-) erworben und vergesellschaftet wird.
[F] In der Folge sollen sich die Ratsmitglieder in ihren Parteien und Gremien auf kommunaler, aber auch Landes- und Bundesebene für eine konsequente Wende in der Wohnungspolitik einsetzen hin zu öffentlich finanziertem, selbstverwaltetem Wohnen.
[S] Auflösung der Geflüchteten-Unterkünfte Europaallee, Albrecht-Thaer-Weg, Zietenterrasse, Carl-Giesecke-Str., Maschmühlenweg verbunden mit dauerhaften Wohnangeboten für Geflüchtete und Obdachlose nach dem Prinzip „Für jeden Menschen mindestens ein eigener Raum“.
[F] In der Folge sollen die Ratsmitglieder die bereits für Wohnungsbau für Geflüchtete zurückgestellten 5 Mio. Euro aufstocken und entsprechende Baumaßnahmen einleiten.
[S] Beständiges Abholen von Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen und geschützte, gute Lebensbedingungen für sie in Göttingen vorhalten, verbunden mit der Bereitschaft, einen möglichen Rechtsstreit wegen der Aufnahme mit dem Bund auszutragen.
[F] In der Folge sollen sich die Ratsmitglieder in ihren Parteien und Gremien konsequent für eine Öffnung der europäischen Außengrenzen für Flüchtende und erforderliche Maßnahmen für eine sichere Migration einsetzen, z.B. bzgl. der Überquerung des Mittelmeers.
[S] Akut erforderliche Aufstockung der Ausstattung sozialer Anlaufstellen und Einrichtungen (Frauen-Notruf, Frauenhaus, Göttinger Tafel, Straso, Migrationszentrum u.a.) sowie ergänzend Betrieb von Soliküchen auf öffentlichen Plätzen mit kostenfreiem Essen.
[F] In der Folge sollen sich die Ratsmitglieder in ihren Parteien und Gremien für eine flächendeckende Stärkung von Basisinitiativen für Gesundheit, Essen, Beratung, Wohnen, solidarisches Miteinander einsetzen, indem erforderliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
[S] Unmissverständliche Positionierung gegen Rechtspopulismus und Rassismus in jedem öffentlichen Statement. Dabei muss u.a. die besonders bedrohliche Lage von Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen und vor Ort sowie von Obdachlosen benannt werden. Die Notwendigkeit gleicher Möglichkeiten für Alle muss deutlich werden.
[F] In der Folge sollen sich die Ratsmitglieder in ihren Parteien und Gremien für eine radikal ausgleichende Umverteilung von Ressourcen von oben nach unten einsetzen, wozu die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer gehören, die Entmilitarisierung des öffentlichen Raums mit vollständigem Rückbau des Verteidigungshaushalts und als nächsten Schritt ein faires bedingungsloses Grundeinkommen für alle Menschen, um in Würde leben zu können.
Our House OM10, 31. März 2020