Dienstag, 10. März 2020, 19 Uhr, Saal
mit Rehzi Malzahn (Herausgeber*in) und Freund*innen
Dass wir strafen, erscheint uns als Selbstverständlichkeit. Manchmal erfüllt sie uns mit Unbehagen, aber wirklich in Frage stellen wir sie nicht. Dabei ist Strafe ein wichtiger Bestandteil von Herrschaft. Sie bedarf Institutionen, die sie ermöglichen und ausführen (Gerichte, Gefängnisse, Polizei). Und sie setzt die herrschenden Regeln durch. Auch im Kleinen und im Privaten bedeutet zu strafen, dass sich ein Individuum über ein anderes erhebt, weil es sich (moralisch oder juristisch) „im Recht“ sieht – sei es in der Erziehung oder in Beziehungen. Während einzelne Institutionen für ihr Strafen doch hin und wieder kritisiert werden (wie z.B. Isolationshaft im Gefängnis oder Züchtigung in der Schule ), ist die Kritik der Strafe als solche eine Seltenheit.
Strafe ist eine Fortführung der Gewaltspirale und verhindert ein friedliches Miteinander. Dennoch kamen auch die Revolutionsversuche des 20. Jahrhunderts ohne Strafkritik aus. Vielmehr wurden oft sogar drakonische Strafsysteme praktiziert. So wenig damals versucht wurde, alternative Umgangsweisen zu finden, so wenig wird auch heute darüber diskutiert oder entsprechend ausprobiert.
In antikolonialen Befreiungskämpfen, indigenen Kulturen und marginalisierten Communities finden sich jedoch eine Menge Verfahren der „Unrechtsbewältigung“ oder „Gerechtigkeitsfindung“ jenseits von Strafe. Als „Restorative Justice“ und „Transformative Justice“ werden solche Alternativen heute auch in weißen Mehrheitsgesellschaften diskutiert. Dass sie jedoch nach wie vor nur marginal angewandt werden, liegt u.a. daran, dass diese Ansätze außerhalb der Fachkreise weitgehend unbekannt sind. Auch gibt es abgesehen von vereinzelten Initiativen noch keine gesellschaftliche Bewegung, die einen radikalen Bruch mit Strafe einfordert und praktiziert. Das gilt es zu ändern!
In ihrem Buch „Strafe und Gefängnis“ hat Rehzi Malzahn zahlreiche Autor*innen zusammengebracht, die dieses Feld aus verschiedenen theoretischen und praktischen Perspektiven diskutieren. So gibt es bspw. Beiträge zur Herstellung von „Delinquenzmilieus“, zur Spaltung politische vs. soziale Gefangene, zu intersektionalen Praxen der Strafkritik, zu Utopien einer Gesellschaft ohne Knäste – und nicht zuletzt auch Restorative/Transformative Justice.
Veranstaltet von der Knast-Soligruppe Göttingen