OM10 würde drei aus dem Mittelmeer gerettete Flüchtende aufnehmen und versorgen

Pressemitteilung

Entsetzen über mörderisches Handeln deutscher/europäischer Politik und die Tatenlosigkeit der Stadt Göttingen –
Hilflosigkeit angesichts des eigenen Hilfsangebots

Das Hausprojekt OM10 aus Göttingen kündigt an, drei Menschen in ihren Räumen aufzunehmen und vollständig für deren Lebensunterhalt aufzukommen, sollten sie auf ihrer Flucht aus dem Mittelmeer gerettet werden. Damit setzt die OM10 ein praktisches Zeichen gegen die von der Stadt Göttingen behauptete Handlungsunfähigkeit bzgl. der Aufnahme von Geflüchteten und die bisherige Weigerung, Göttingen als „Sicheren Hafen“ zu erklären. Gleichzeitig kritisiert die OM10 das mörderische Vorgehen deutscher und europäischer Politiker*innen und Behörden bei der Abschottung Europas sowie die Behinderung und Verfolgung von zivilen Seenotretter*innen wie der Sea-Watch und anderer engagierter Bürger*innen an den europäischen Grenzen.

Die Bewohner*innen und Aktivist*innen der OM10 machen ihr Angebot aus Verzweiflung über das massenhafte, geduldete und herbeigeführte Sterben an den Grenzen Europas und strategische Fehlplanungen der Stadt Göttingen bei der Wohnraumbeschaffung. Ihre Zusage versteht die OM10 als humanitären Akt mit einem allerdings falschen politischen Signal. Denn letztlich würden im OM10-Netzwerk Menschen dazu aktiviert, gemeinsam die vollständige ökonomische Versorgung für gerettete Menschen zu übernehmen. Das würde in diesen Fällen die weitgehende Entlastung verantwortlicher Politiker*innen und des Staats bei der Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags bedeuten. Ein Dilemma.
Die Aktiven der OM10 rufen daher auf der einen Seite dazu auf, dass viele weitere Menschen und Projekte ähnliche, ernst gemeinte Angebote zu konkreten Rettungsmöglichkeiten geben. Und dadurch die vielerorts in der Bevölkerung vorhandene praktische Solidarität sichtbar und wirksam machen. Auf der anderen Seite fordern sie dazu auf und kündigen selbst an, politisch aktiv zu bleiben und mit aller Kraft und allen gebotenen Mitteln den Druck auf Politiker*innen und Behörden zu erhöhen, damit diese die Abschottung und das Massensterben an den Grenzen stoppen.

Im Jahr 2018 ist jeder 15te Mensch auf der Flucht vor Krieg und Armut im Mittelmeer ertrunken, im Januar 2019 waren es mindestens 270 Menschen – in den wenigen letzten Jahren sind es bereits zehntausende Tote. Gleichzeit wurden und werden staatlich organisierte Rettungsmöglichkeiten aufgrund nationaler und europäischer Beschlüsse zurückgefahren. Zivile Seenotretter*innen werden bedroht, behindert und juristisch verfolgt. Schiffen wie nun erneut der Sea-Watch wird nicht nur das Anlegen in, sondern bereits das Auslaufen aus Häfen verboten. Die wenigen Geretteten werden nicht selten in überfüllten, menschenunwürdigen Lagern in Europa (z.B. auf Lesbos/Griechenland) und Afrika (z.B. in Libyen, in der Sahara Marokkos) auf Initiative deutscher Politik festgehalten und ausgebeutet. Oder Geflüchtete werden illegal über die europäische Grenze zurückgeschoben (z.B. Pushbacks von Kroatien nach Bosnien). Durch Waffenhandel, Klimazerstörung und Ausbeutung werden weiterhin Lebensgrundlagen in Fluchtländern systematisch zerstört.

In den letzten Wochen schafften es zivile Seenotretter*innen mit Projekten wie Sea-Watch immerhin in die Tagesnachrichten. Ihnen wurde wiederholt mit ihren Schiffen die Einfahrt in europäische Häfen verweigert. Begründet wurde dies von verantwortlichen Politiker*innen auf widerliche Weise damit, dass die Schiffe Menschen an Bord hatten, die Tage zuvor auf dem offenen Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet worden sind. Einen heuchlerischen Höhepunkt erreichte die Berichterstattung allerdings, als sich der sogenannte Heimatminister Horst Seehofer damit brüstet, die geretteten Menschen im Wesentlichen nicht in Deutschland aufgenommen, sondern durch ökonomischen Druck auf andere Länder dorthin verteilt zu haben. Was Seehofer in diesen Einzelfällen als humanitäres und diplomatisches Meisterstück anpreist, ist eine durchsichtige Ablenkung von der Menschenleben verachtenden Abschottungspolitik Deutschlands, die mit dem Massensterben kalkuliert.

Die Bewohner*innen und Aktiven in der OM10 haben geplant, drei auf ihrer Flucht aus dem Mittelmeer Geretteten kostenfrei einen Wohnplatz im Projekt anzubieten. Der Staat und die Stadt Göttingen argumentieren gegen die Aufnahme von Geflüchteten neben angeblich fehlendem Wohnraum oft auch mit den aufkommenden Kosten bei der Versorgung. Daher hat die OM10 auch gleich berechnet, dass sie – vorausgesetzt der Staat verweigert in diesen Fällen andernfalls die Aufnahme – ebenfalls für den Lebensunterhalt der Menschen aufkommen würden. Diese Finanzierung würde über Spenden geleistet. Wohl wissend, dass es rechtlich (derzeit noch) nicht möglich ist, auf diesem Wege tatsächlich Menschen eine Lebensperspektive zu geben. Insofern muss die Ankündigung zur Aufnahme und Versorgung symbolisch bleiben, solange der Staat das Angebot der OM10 ignoriert, blockiert und aus dem Mittelmeer Geflüchtete nicht ins Land und nach Göttingen lässt.

In der OM10 leben Menschen mit und ohne Fluchterfahrung in verschiedenen Wohnformen zusammen, daneben finden in den öffentlichen Räumen vielfältige politische Vernetzung und Arbeit zahlreicher Gruppen statt. Das ehemalige DGB-Haus wurde nach 6 Jahren Leerstand im November 2015 besetzt, im März 2017 gekauft; seit Ende 2018 ist die OM10 im Mietshäuser Syndikat.

Häfen und Grenzen auf!
Stoppt das Massensterben an den europäischen Grenzen! Jedes Menschenleben zählt!
Für das Rettungsschiff „Göttingen 1“ im Mittelmeer!
Für eine starke, solidarische Bewegung für freie Migration!

Our House OM10, 12. Februar 2019