Bewohner*innen und Aktivist*innen des besetzten Hauses sind am 5. Januar zum Neujahrsempfang der Stadt Göttingen in die Stadthalle gegangen, um die staatliche, rassistische Asylpolitik zu kritisieren. Nach der Rede des Oberbürgermeisters Köhler ging eine Sprecherin der OM10 ans Mikrofon. Zeitgleich wurde oberhalb des Redner*innen-Pults ein Transparent entrollt mit der Aufschrift „Refugees aren’t the problem – capitalism is. Create humanity instead of exploitation!“ Als die Sprecherin nach einer Kurzvorstellung des besetzten Hauses gerade darauf hinwies, dass Ehrenamtliche nicht unterscheiden, aus welchem Land die Geflüchteten kommen, die Politik aber widerlich in „echte“ und „falsche“ Geflüchtete trennt, wurde ihr das Mikrofon abgedreht. Der Redebeitrag wurde daraufhin als Flugblatt an die Gäste verteilt. Hier ist der Text in voller Länge:
Liebe GöttingerInnen,
wir, vom besetzten DBG-Haus in der Oberen Maschstr. 10, möchten auch ein paar Worte sagen – nur kurz, zwei Minuten. Ziel der Besetzung war und ist es, Wohnraum für Geflüchtete und andere Unterstützungsangebote zu schaffen. Zur Zeit wohnen 6 Geflüchtete im Haus. Zwei weitere Wohnungen sind einzugsbereit. Einige andere sind schon wieder ausgezogen, weil sie in andere Gegenden umverteilt worden sind. Jede Nacht übernachten hier einige Geflüchtete, die auf dem Bahnhof in Göttingen gestrandet sind. In unserem Haus finden Deutschkurse statt, Café-Nachmittage und verschiedene Veranstaltungen. Interessierte sind herzlich eingeladen, vorbeizukommen, sich zu informieren oder sich einzubringen. So viel zur OM 10.
Wir schließen uns an und möchten an dieser Stelle auch sagen, wie großartig wir die Unterstützung und Hilfsbereitschaft der unzähligen Ehrenamtlichen finden. Danke an euch, an uns alle! Die Ehrenamtlichen sind in unseren Augen diejenigen, die direkt mit den Geflüchteten zusammenkommen und sich um ihre Probleme und Bedürfnisse kümmern. Wir sehen täglich, dass Ehrenamtliche Deutschkurse für alle Geflüchteten anbieten, nachts zum Bahnhof gehen, sich als DolmetscherInnen zur Verfügung stellen, sie zu den Behörden begleiten und vieles mehr. Egal woher die Geflüchteten kommen, ob aus Syrien oder Afghanistan, ob aus dem Irak oder aus dem Kosovo – geholfen wird allen. Das finden wir gut! Denn Ehrenamtliche lassen sich nicht so einfach vor den politischen Karren spannen, der die Geflüchteten in echte und falsche einteilen will. Dafür sagen wir nochmals DANKE!
Danke auch an die Stadt, die heute mit Sekt und nett gemeinten Worten das kräftezehrende Engagement Ehrenamtlicher entlohnt, die Aufgaben übernehmen, die eigentlich die Stadt tragen sollte. Die Geflüchteten und die Ehrenamtlichen brauchen mehr politische,materielle und finanzielle Unterstützung. Auf ihre Worte, Herr Köhler, müssen nun auch Taten folgen. Lassen sie nicht zu, dass Deutschkurse nur für bestimmte Gruppen angeboten werden sollen, lassen sie nicht zu, dass wieder Wertgutscheine an Geflüchtete ausgegeben werden. Ihre Partei und deren PartnerInnen sind auf Landes- und Bundesebene an der Regierung beteiligt. Doch auch die Kommune findet mittelfristige Lösungen, wenn sie will. Stellen sie sich nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten gegen die Rückwärtsrolle in der Geflüchtetenpolitik und die Wiedereinführung rassistischer Praktiken.
Sie sagen selbst, dass die Massenunterbringung von Geflüchteten menschenunwürdig ist. Auch hier sind es oft die Ehrenamtlichen gemeinsam mit den Professionellen, die versuchen, die schlimmsten Probleme auszubügeln oder abzumildern. Trotz der gut gemeinten Appelle der Stadt gibt es noch immer massenhaft leerstehenden Wohnraum in Göttingen. Machen sie den Leerstand mit Namen der EigentümerInnen öffentlich und üben sie endlich Druck auf diejenigen aus, die ihre Wohnungen lieber leer stehen lassen, als an Geflüchtete zu vermieten.
Für uns bleibt jedoch festzuhalten, dass es ein nachhaltig gutes Miteinander nur mit der Auflösung kapitalistischer Verwertungslogiken und der Bekämpfung der Fluchtursachen geben kann.
Wir hoffen, dass die vielen Ehrenamtlichen sich von der staatlichen und städtischen Politik weiterhin nicht beeinflussen lassen und weiterhin solidarisch alle Geflüchteten unterstützen.