Am 25. November 2025, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen/Tag gegen geschlechtsspezifische Gewalt, fand in Göttingen eine breit getragene Demo des Feministischen Bündnis statt. Zeitgleich war Das Göttinger Netzwerk gegen Femizide an diesem Tag in Katlenburg-Lindau für ein gemeinsames Gedenken an ein Femizid-Opfer. Und das Göttinger Bündnis Antirassistischer Initiativen hatte am Nachmittag mit Frauen aus dem Lager Bad Sachsa vor Ort eine Kundgebung gegen die Gewalt an Frauen dort und die allgemein repressiven Zustände organisiert.
Wir dokumentieren hier einen Redebeitrag des AK Asyl von der Abschlusskundgebung der Göttinger Demo an der OM10, in dem von der Lage der Frauen in Bad Sachsa und ihrem Widerstand berichtet wird. Refugees are welcome here!
Heute ist der 25. November – der internationale Tag gegen patriarchale Gewalt. Neben häuslicher Gewalt durch Angehörige und systematischem Sexismus, sind Frauen und Queers, die keinen deutschen Pass haben, die mit Duldung oder laufendem Asylverfahren in Deutschland leben, zusätzlicher Gewalt durch das europäische Asylsystem ausgesetzt. Das ist die Gewalt eines Systems, das auf allen Ebenen gegen sie arbeitet.
Heute Mittag haben einige von uns als Teil eines Antirassistischen Bündnisses Göttinger Initiativen gemeinsam mit den Geflüchteten aus der Unterkunft und Unterstützer*innen eine Kundgebung vor dem Lager in Bad Sachsa organisiert – gegen die repressiven Zustände in diesem Lager.
Wir können und wollen nicht für die Frauen aus Bad Sachsa sprechen, die jetzt leider gerade selber nicht hier sind. Wir möchten aber ihre Berichte hier teilen, damit sie nicht in der Unsichtbarkeit verschwinden!
Die Unterkunft dort ist eine Außenstelle der Landesaufnahmebehörde Friedland und offiziell betitelt als eine “Notunterkunft für besonders vulnerable Personengruppen” – darunter fallen unter anderem Frauen und Queers, die grausame Formen patriarchaler Gewalt erleben mussten, Kinder und Menschen mit Behinderungen. Trotzdem wird dort vor nichts Halt gemacht:
Im Oktober haben sich einige Frauen aus dem Lager in Bad Sachsa zusammengeschlossen und einen offenen Brief veröffentlicht. Darin schreiben sie unter anderem, warum sie sich in der Unterkunft durch das männliche Securitypersonal bedroht fühlen:
- Erstens kontrolliert das Security Personal ganz genau in welchem Zimmer sich welche Frau aufhält,
- zweitens patroulliert es ständig den Flur entlang,
- drittens dringt es nachts in die Privatsphäre der Frauen ein und respektiert nicht den Schutzraum der Privatzimmer. Das passiert sogar, wenn sie sich gerade umziehen.
Außerdem gibt es ab 22 Uhr eine Ausgangssperre , die die Autonomie und Bewegungsfreiheit der Bewohner*innen noch weiter eingeschränkt. Laut Erfahrungsberichten dürfen sie nicht einmal innerhalb der Unterkunft Besuche in anderen Zimmern abhalten, andernfalls werden sie als abwesend markiert – was für ihre Asylverfahren schwerwiegende negative Folgen haben kann.
Die Frauen aus der Unterkunft haben gemeinsam ihre Stimmen erhoben, die Presse benachrichtigt um sich gegen diese Mehrfachdiskriminierung durch die Security zu wehren. Wer den Offenen Protestbrief in ganzer Länge lesen möchte, findet diesen auf der Homepage des Flüchtlingscafés Göttingen.
Geflüchteten Frauen sind im Alltag vor viele verschiedene diskriminierende Hürden gestellt, die wir hier anhand von ein paar Beispielen aufzeigen wollen:
Den Frauen wird gesagt: „geht arbeiten“, aber eine Arbeitserlaubnis bekommen die wenigsten und wenn, dann sind es vor allem sehr prekäre Jobs. Stattdessen werden Wege geschaffen, geflüchtete Menschen für 80 Cent die Stunde arbeiten zu lassen, wie die aktuelle Situation im Camp in Dassel (in der Nähe von Einbeck) zeigt. Das ist absolut menschenverachtend und ausbeuterisch!
Vielen Geflüchteten, für deren Asylverfahren laut Dublin-Verordnung ein anderer EU-Staat zuständig sei, werden an einigen Orten in Deutschland schon Menschenrechte und die Versorgung von Grundbedürfnissen verwehrt.
Auch in der Unterkunft Bad-Sachsa, wo heute die Protestkundgebung gegen patriarchale Gewalt und das Lagersystem stattgefunden hat, kommt es immer wieder vor, dass den Bewohner*innen die Sozialleistungen nicht ausgezahlt werden.
Es wird gesagt: „integriert euch“ – eine unserer Ansicht nach ohnehin problematische Forderung – aber bis Geflüchtete einen Deutschkurs besuchen oder Kinder zur Schule gehen können, vergehen meist viele Monate. Geflüchtetenunterkünfte werden, wie bspw. in der sogenannten “Notunterkunft” Bad Sachsa, irgendwo am Stadtrand gebaut, um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben quasi unmöglich zu machen. Geflüchtete werden durch Wohnauflagen und Aufenthaltsbeschränkungen für bestimmte Städte oder Landkreise in ihrer Mobilität stark eingeschränkt.
Neben unzähligen anderen Politiker*innen schreckt auch Merz immer weniger davor zurück sein wahres rassistisches Gesicht zu zeigen: Im Oktober bezeichnete er Migrant*innen als ein Problem im Stadtbild, dass die Sicherheit „unserer Töchter“ gefährde, und warb für seine rassistische Abschiebepolitik.
Wie wir aus der Erzählung einer Betroffenen in Bad Sachsa wissen, die eine versuchte Abschiebung und dabei brutale und erniedrigende Polizeigewalt erleben musste: Nicht nur die Bedingungen in den Lagern verschärfen sich, auch die Abschiebungen nehmen massiv zu und die ohnehin brutale Abschiebepraxis wird immer noch rücksichtsloser, gewaltvoller und perfider.
2025 wurde auch kein Halt mehr vor vermeintlich “sicheren” Orten gemacht: Es wurde aus Kirchenasylen, aus Krankenhäusern, aus Psychiatrien abgeschoben. Das ist nichts anderes, als Menschen in extrem vulnerablen Gesundheitszuständen in Lebensgefahr zu bringen. Im Januar 2025 nahmen deutsche Sicherheitskräfte eine bewusstlose Person mit, die sie in einem Flughafen in Lagos noch immer bewusstlos übergaben.
Menschen, die vor Gewalt und Unterdrückung geflohen sind, finden sich hier in Deutschland in Lagern wieder, in denen sie erneut Gewalt, Erniedrigungen, Schikanen und schlaflosen Nächten ausgeliefert sind.
Die Landesaufnahme Behörde hat tatsächlich eine Antwort auf den Offenen Protestbrief veröffentlicht. Laut dieser wurden die nächtlichen Kontrollen aus „Brandschutzgründen“ durchgeführt. Diese Ausrede ist schlicht lächerlich. Die Leitung des Camps in Bad Sachsa hatte diese Maßnahme scheinbar ohne die offizielle Absegnung der LAB in Friedland als Dienstanweisung angeordnet. Doch die LAB nimmt mit dieser absurden Ausrede die nächtlichen Kontrollen und das Fehlverhalten der Leitung des Camps in Bad Sachsa in Schutz.
Wir sind wütend über die beschriebenen Zustände und das wollen wir heute Abend zum Ausdruck bringen. Dass Widerstand etwas bewirkt, hat die Veröffentlichung des Offenen Protestbriefs gezeigt. Unmittelbar nach der Veröffentlichung wurde die schikanöse Praxis der nächtlichen Kontrollen eingestellt.
Es ist stark, dass wir hier zusammen auf der Straße sind, unsere Stimmen erheben und gemeinsam gegen diese menschenverachtende, rassistische Politik protestieren und damit Widerstand leisten!
Wir stehen verbunden und solidarisch hier um zu sagen:
Alle Lager abschaffen! Freie Selbstbestimmung für alle!
Gegen patriachale Gewalt überall!
Für Bewegungsfreiheit und offene Grenzen!
Say it loud, say it clear: refugees are welcome here!
AK Asyl, 25. November 2025