„Siekhöhe ist für uns wie ein Gefängnis“ Geflüchtete kritisieren Zustände in der Siekhöhe

Seit Inbetriebnahme des Lagers Siekhöhe halten ehrenamtliche Unterstützer*innen und Aktivist*innen Kontakt zu dort untergebrachten Geflüchteten. Geflüchtete berichten immer wieder, dass die nach oben offenen Räume, die Lautstärke in der Lagerhalle und das Zentrallicht auf Dauer psychisch schwer belastend und für einige Menschen unerträglich sind. Damit steht das Erleben der Betroffenen in krassem Gegensatz zu den Behauptungen von Offiziellen der Stadt und des DRK, mittlerweile würde alles gut laufen. Auch die Ergebnisse der Studie, die von der Piratenpartei in Auftrag gegeben wurde, machen vor allem eins deutlich: Wer den Menschen erst gar nicht zuhört, will auch nicht wissen, wie es ihnen geht. Geflüchtete und Unterstützer*innen fordern die Schließung des Lagers Siekhöhe und menschenwürdiges Wohnen für jeden und jede Einzelne.

Ein junger Mann, der alleine auf der Flucht ist, stellt fest: „Es ist unverantwortlich, in der Siekhöhe Kinder, Frauen, Paare und kranke Menschen unterzubringen.“ Dringend benötigte Ruhe, Schutz der Intimsphäre und individuelle Versorgung sind dort nicht gegeben. Dies deckt sich mit den Beobachtungen der Unterstützer*innen: „Nach nur zwei Stunden Aufenthalt in der Siekhöhe hatten wir das Gefühl, unsere Ohren sind taub, und wir hatten alle Kopfschmerzen. Wie schlimm muss das erst nach mehreren Tagen und Nächten sein.“

Gerade schwangere Frauen leiden unter der Belastung in der Siekhöhe. Eine Schwangere berichtet, dass sie aufgrund des allgemeinen Stress mit ihren Kräften am Ende sei. Als sie wegen Erschöpfung in einem Göttinger Krankenhaus behandelt wird, wird dort eine Wachstumsstörung des Kindes festgestellt und dringend Ruhe, am besten in einer eigenen Wohnung verordnet. Stattdessen ist sie nun weiter im Lager Siekhöhe. Zwar wurde sie vorübergehend in einem Isolationszimmer untergebracht, aber die Luft war dort sehr schlecht und ihre Sachen musste sie unbeaufsichtigt in dem alten Zimmer belassen. Zu Essen bekommt sie nicht ausreichend. „Ich esse vegetarisch, aber das meiste Essen ist mit Fleisch. Und selber kochen dürfen wir nicht.“

Ein älterer Mann erzählt, dass nur das Personal nach oben geschlossene Zimmer hat. Er selbst sei mit zehn Menschen in einem Raum ohne Decke. „Wir versuchen mit Decken und Tüchern unser Bett etwas abzuhängen, um uns vor dem Deckenlicht zu schützen. Aber trotzdem können wir nicht richtig schlafen.“

Mangels Beschäftigungsmöglichkeiten und fehlender Perspektive werden einige Menschen sehr träge, andere unruhig und laut. Eigentlich sind alle nervös. Für Kinder sei die Siekhöhe überhaupt nicht geeignet. Und da die Kinder bis spät in die Nacht nicht zur Ruhe kommen, fangen auch noch deren Eltern an zu streiten – der Stress für alle steigt weiter. Der Mann weiß nicht, wie lange er es in so einem Lager aushalten muss, er ist sehr verzweifelt, sein Lebensmut sinkt. „Wir kennen von Deutschland nur die Sicherheitskräfte und das Personal des DRK,“ sagt er traurig. „Wir fühlen uns isoliert.“

Eine andere Frau berichtet, dass sie sich mit ihrem Mann und anderen Paaren einen der nach oben offenen Räume teilt, eine Intimspähre gibt es nicht. Sie nehme nun wieder vermehrt Medikamente und weine viel. Nachts komme sie nicht zur Ruhe. Ihr Mann erzählt, dass viele versuchen so lange es geht nachts draußen zu bleiben, um dem Lärm in der Halle zu entkommen. Doch wegen der nach oben offenen Räume sei alles hörbar – und sei es nachts das Lachen der Sicherheitskräfte. Die Frau ergänzt, dass für sie auf Dauer auch Gespräche aus den Männerzimmern belastend sind, wenn dort regelmäßig sexistisch über Frauen gesprochen wird. „Wenn sie ihre Witze und Sprüche machen fühle ich mich direkt angesprochen, ich schäme mich und fühle mich beschmutzt.“

Drei junge Männer mussten für eine Nacht auf der Straße schlafen. Die Mitarbeiter hatten einen spielerischen Streit zwischen den Dreien offenbar falsch eingeschätzt und sie rausgeschmissen. Als die Männer am nächsten Tag beim Sozialamt fragten, wo sie denn nun übernachten sollen, wurden sie wieder zur Siekhöhe geschickt. Dort wollte der Leiter der Siekhöhe sie aber zunächst nicht reinlassen. Schließlich mussten sie drei Nächte in Containern auf dem Gelände übernachten.

Eine Frau wünscht sich, dass die Mitarbeiter*innen vom DRK und Verantwortliche von der Stadt nur für ein paar Tage in der Siekhöhe leben und übernachten. Dann könnten sie nachvollziehen, wie die Situation wirklich ist. Unangemessen findet sie es, dass der Leiter der Siekhöhe, Pascal Comte, schon unhöflich und laut geworden ist, nur weil sich die Geflüchteten bei ihm über die Zustände beschwert haben.

Einem jungen Mann ist aufgefallen, dass er und viele andere ihr Taschengeld nicht vollständig ausgezahlt bekommen. Er erhält nur 20 Euro pro Woche, dabei steht ihm eine größere Summe zu. „Wir wissen nicht, warum wir zu wenig Geld bekommen. Das ist nicht richtig.“

Ein Mann, der seit einigen Wochen in der Siekhöhe untergebracht ist, bringt sein Dilemma auf den Punkt: Er sei dankbar, in Deutschland aufgenommen worden zu sein, und dankbar für das Bemühen der Mitarbeiter. Allerdings sei die Konstruktion der Massenunterkunft Siekhöhe dermaßen schlecht, dass es dort einfach nicht gut werden kann. Die Lage außerhalb Göttingens ohne Nachbarschaft, das Gelände mit Zaun an der Autobahn, die baulich offenen Verschläge in einer Lagerhalle mit hoher Decke, die fehlenden Fenster und das zentral geschaltete Deckenlicht ließen kein Ankommen und zur Ruhe kommen zu – der ohnehin vorhandene Stress steige für die Geflüchteten mit jedem Tag, mit jeder weiteren Nacht zur puren Verzweiflung.

Ein weiterer Geflüchteter formuliert es noch deutlicher: „Mit dem Siekhöhe-Camp machen einige bestimmt ein gutes Geschäft, aber für Menschen ist es nicht geeignet. Die Siekhöhe ist für uns wie ein Gefängnis. Wir können zwar kommen und gehen wie wir wollen. Aber wir können nicht über unser Essen bestimmen, nicht über das Licht, haben keine Privatsphäre und Ruhe und wenn wir auf das Gelände kommen, werden manchmal sogar unsere Taschen durchsucht. Uns wird es sehr schwer gemacht. Wahrscheinlich wollen sie, dass wir freiwillig Deutschland verlassen.“