Siekhöhe schließt nach langjährigem Protest – skandalöses Vorgehen der Stadt gegenüber Geflüchteten wird fortgesetzt

Nach über dreijährigen Protesten gegen den Betrieb der Massenunterkunft Siekhöhe wird diese nun Ende des Monats geschlossen. Die Stadt Göttingen setzt derweil ihren brutalen Kurs beim Thema Wohnraum gegenüber Geflüchteten weiter fort (s.u., PM des AK Asyl vom 29.05.19) .

Bereits Wochen bevor erste Geflüchtete im Lager Siekhöhe am Rande eines Göttinger Industriegebiets untergebracht wurden, beteiligten sich Aktivist*innen aus der OM10 an Protesten gegen die Inbetriebnahme. Doch die Eröffnung der Massenunterkunft Ende 2015 konnte nicht verhindert werden. Jahrelang kritisierten Geflüchtete und verschiedene Göttinger Initiativen die unzumutbaren Bedingungen in der Siekhöhe. Dies reichte von der Produktion eines durchgängigen Stresses durch die Uterbringung von hunderten Menschen in Bretterverschlägen innerhalb einer ehemaligen Lagerhalle, über die organisierte Isolation von Nachbarschaft und Hausverbote gegen Unterstützer*innen bis hin zum aktiven Mitwirken an Abschiebungen durch den vom DRK eingesetzten Leiter der Siekhöhe, Pascal Comte. Die Protestformen waren bunt, kreativ, druckvoll und erreichten mit der Besetzung des ehem. Goethe-Instituts zur Schaffung alternativen Wohnraums einen von vielen Höhepunkten.
Die Stadt Göttingen bewegte sich trotz der massiven Proteste nur langsam, erklärte eines Tages, eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten anzustreben, und verlängerte zunächst den bereits schon einmal abgesagten Betrieb der Siekhöhe. Der breite gesellschaftliche Widerstand zwang die Stadt schließlich, die Siekhöhe nun doch zu schließen.

Während der ganzen Zeit praktiziert die Stadt Göttingen allerdings weiter ihren skandalösen, teils offen menschenverachtenden Kurs. Abschiebungen werden geduldet und ermöglicht, immer wieder setzt die Stadt Göttingen Geflüchtete unter Druck und dringen Behörden in geschützte Privaträume ein. Ein weiterer dramatischer Vorfall ereignete sich am 29.05.19, als Frau Wedekind, Mitarbeiterin des FB Soziales, mit Polizeikräften in die Wohnung eines Geflüchteten eindrang und einen Umzug in eine Notunterkunft mit Zwang durchsetzte.

Wer bleiben will soll bleiben!
Selbstbestimmtes, sicheres und soziales Wohnen für Alle!

– – – Dokumentation einer PM des AK Asyl – – –

Pressemitteilung zur Zwangsräumung eines Geflüchteten aus Göttingen am 29.05.2019

Zwangsräumung gegen Geflüchteten – Stadt Göttingen zeigt die volle Bandbreite des menschenverachtenden Maßnahmenrepertoires gegen Geflüchtete

Am Mittwoch, den 29.05.19 musste ein Geflüchteter aus dem Libanon, Herr Brunner (Name geändert), auf Anordnung der Stadt von heute auf morgen, unter Anwesenheit von ca. acht Zivilbeamt*innen der Polizei und Frau Wedekind von der Stadt Göttingen seine Wohnung im Rosenwinkel räumen. Etliche Unterstützer*innen vor Ort dokumentierten das brutale Vorgehen der Stadt.

Der Terminus „von heute auf morgen“ ist hier nicht sprichwörtlich gemeint: Herr Brunner erhielt die schriftliche Anordnung der Räumung am 28.05.19, also nur einen Tag vorher.
Die Verantwortung für die Zwangsräumung trägt Frau Wedekind vom Fachbereich Soziales der Stadt Göttingen  im Fachdienst Wohnraumfragen. Bereits einen Tag zuvor gab es einen völlig unangekündigten und ungenehmigten Räumungsversuch durch die Stadt Göttingen: Frau Wedekind erschien am Montag, den 27.05., plötzlich bei Herrn Brunner und verschaffte sich  Zugang zur Wohnung. Seine Partnerin, die ebenfalls anwesend war, solle sofort die Wohnung verlassen, da er keinen Besuch empfangen dürfe, was im übrigen nicht der Wahrheit entspricht und er müsse die Wohnung sofort räumen.
Als Herr Brunner sich weigerte, rief Frau Wedekind die Polizei. Zeitgleich mit dem Eintreffen der Polizei waren auch etliche Unterstützer*innen von Herrn Brunner vor Ort.
Die von Frau Wedekind gewünschte Zwangsmaßnahme konnte nicht durchgeführt werden, da die Polizei sich weigerte, das rechtswidrige Vorgehen, ohne Räumungsbeschluss und ohne Ankündigung, durchzuführen. Frau Wedekind musste den Ort unverrichteter Dinge wieder verlassen.
Am folgenden Tag  erhielt Herr Brunner dann die schriftliche Räumungsverfügung. Der Versuch, auf rechtlichem Wege gegen die Verfügung vorzugehen, scheiterte an der völligen Rechtlosigkeit von Geflüchteten. Das heißt, per Gesetz ist diese Zwangsräumung legal, jedoch damit noch lange nicht legitim.
Die Umsetzung und Ausführung dieser menschenverachtenden Gesetze liegt jedoch in den Händen der lokalen Behörden. Die Stadt, in diesem Fall Frau Wedekind, entscheidet, ob und wie sie jemanden zwangsräumen lässt. Ein eingeschalteter Anwalt, der versuchte wenigstens die erbarmungslose Eintagesfrist zu verlängern, scheiterte an dem völligen Unwillen von Frau Wedekind.

Herr Brunner lebt seit 2 Jahren im Rosenwinkel. Das ihm zugestellte Papier, es nennt sich Umsetzungsverfügung, drohte bei Nichtverlassen der Wohnung die sofortige Zwangsräumung an: „Sie werden (…) in die Notunterkunft Maschmühlenweg 139D umgesetzt.“
Im Maschmühlenweg müssen Männer zu viert oder fünft in einem Raum schlafen. Die  Menschen werden dort harsch kontrolliert und es wird protokolliert, wann sie weggehen und wiederkommen.  Schlafen sie drei Nächte nicht in der Unterkunft, werden sie abgemeldet. Was dann mit ihnen passiert, interessiert die Stadt nicht. Selbst eine Mitarbeiterin des Flüchtlingssozialdienstes der Stadt kritisierte in einem Gespräch die Zustände im Maschmühlenweg als furchtbar. Dennoch werden  Menschen dort zwangsuntergebracht. Viele halten es nur kurz dort aus und versuchen sich dann selbst durchzuschlagen. Auch für Herrn Brunner ist klar, dass er im Maschmühlenweg nicht leben kann. Diese Zwangsräumung reiht sich ein in eine Vielzahl von Maßnahmen der Stadt Göttingen, Geflüchteten ein menschenwürdiges Leben unmöglich zu machen. Dreitagesduldungen, Kürzungen der Sozialleistungen bis weit unter das Existenzminimum, Arbeitsverbot, Hausdurchsuchungen und der allgegenwärtige Stress permanenter Abschiebebedrohung. Durch diesen Maßnahmenkatalog versucht die Stadt Göttingen, den Menschen ein würdiges Dasein  zu verunmöglichen. Die Würde des Menschen  (Artikel 1 des Grundgesetzes)  spielt schon lange keine Rolle mehr –  weder für die Stadt Göttingen, die ihre Spielräume nur im repressiven Sinne ausnutzt, noch für den Gesetzgeber, der dieses menschenverachtende Vorgehen in Gesetze gegossen hat. Auch gegen Herrn Brunner wurden und werden all die oben aufgeführten Repressionswerkzeuge angewendet. Vor vier Wochen wurde bei ihm eine Hausdurchsuchung durchgeführt, um nach seinem Pass zu suchen.  Weil viele Geflüchtete keinen Pass besitzen, geraten sie aus Perspektive der Behörden häufig unter Generalverdacht: Diese nehmen an, dass der Pass unterschlagen wurde und führen als Konsequenz Hausdurchsuchungen durch; wobei zum Beispiel die libanesische Botschaft trotz Anfrage keine Pässe für libanesischen Geflüchtete ausstellt. Dagegen sind die Betroffenen machtlos. Jedoch sind sie es, die bestraft werden – nicht etwa Botschaften, Ämter oder Institutionen. Herr Brunner nimmt all die repressiven Maßnahmen gegen ihn nicht hin: So hat er gegen die Hausdurchsuchung rechtliche Schritte eingeleitet. Er wehrt sich, wie viele andere, die nicht bereit sind, ihrer Rechtlosigkeit zu erliegen. Sie kämpfen für ein menschenwürdiges Leben . Es ist die Aufgabe der Zivilgesellschaft, sie in diesem Kampf gegen Repressionen, Behörden und einen erbarmungslosen Gesetzgeber zu unterstützen.

Kontaktadresse: akasylgoe@emdash.org

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